Eine intrigante 13-Jährige ruiniert zwei Leben. So lässt sich der Plot von «Abbitte» auf den Kürzest-Nenner bringen. Es verpasst das Eigentliche: Die Romanhandlung ist auch eine Reflexion darüber, wie sich das Leben erzählen lässt. Wie sich überhaupt erzählen lässt.
Briony ist 13 und eifersüchtig. Zwischen ihrem Schwarm Robbie und ihrer älteren Schwester Cecilia funkt es. Briony verleumdet Robbie. Er kommt ins Gefängnis, später in den Krieg – die Geschichte spielt in Grossbritannien zwischen 1935 und 1999.
Briony wird Schriftstellerin und erfindet für Robbie und Cecilia, was das Leben für sie nicht bereit hatte: ein glückliches Dasein zu zweit.
Stück im Stück
Ian McEwan erzählt in der Tradition der grossen britischen Romane aus dem 19. Jahrhundert. Der Film von Joe Wright findet die opulenten Bilder dafür. Auch im Opernhaus Zürich thront ein klassizistisches Herrenhaus, wie es sich schöner nicht erdenken lässt, über der hügeligen Landschaft der Midlands im Rundhorizont.
Auch die Kostüme sind stilechte 1930er-, 1940er-Jahre und lassen Filmbilder anklingen. Kinder huschen über die Bühne, Diener tragen Stühle herbei, in der Ecke stehen zwei Paravents als Kulisse für ein Stück im Stück: Briony ist in Zürich nicht Schriftstellerin, sondern Tänzerin. In einer Choreografie blickt sie zurück und leistet Abbitte.
Das ist ein schlauer Kniff der (realen) Choreografin Cathy Marston. Indem sie den Stoff in der Tanzwelt ansiedelt, gibt sie ihm fürs Ballett eigene Authentizität und Direktheit. Wie schon im Roman wirkt der zweite Teil stärker als der leicht vor sich hin plänkelnde erste.
Wo die Konflikte konkret werden, wo die alt gewordene Künstlerin auf das reale und das erfundene Leben zurückblickt und die Erzählung sich in metafiktionales Nachdenken wandelt, gewinnt auch der Tanz an Kraft.
Das englische Landschaftspanorama weicht einem grauen Vorhangrund. Im abstrakten Raum tritt die Körper-Erzählung umso klarer hervor. So etwa eine gruselig marionettenhafte Militärchoreografie.
Für die Zürcher Ballettdirektorin Marston war der Stoff eine Herzensangelegenheit und ein lang gehegter Wunsch. Sie erzählt ihn linear der Romanhandlung entlang, in einer Tanzsprache, die sich stark an herkömmlichen Formen orientiert und einfallsreich die Figuren charakterisiert.
Geschmeidige Musik
So findet sie für Briony eine eigentümliche, virtuos ungelenke Bewegungssprache mit oftmals angewinkelten Armen und Beinen. Gesten wie abweisende Hände vor dem Gesicht oder verschränkte Arme im Nacken begleiten die Figuren wie Leitmotive. Das macht Emotionen körperlich anschaulich. In weniger geglückten Momenten streift es allerdings das Pantomimische und Sentimentale.
Geschmeidig zeigt sich auch die Musik der Komponistin Laura Rossi. Ein süffiger Soundtrack mit satten Streichern und glanzvollen Bläsern, aufgefrischt durch Schlagwerk und Klavier.
Tanzrhythmen im Geist der 1930er-Jahre treiben ihn voran, Walzer, Tango, Bolero. Auch Rossis Musik gewinnt im zweiten Teil, etwa mit einer gespenstisch blechernen Militärmusik.
Das grösste Lob gebührt aber den Tänzerinnen und Tänzern von Ballett, Junior Ballett und Tanz-Akademie Zürich. Sie finden zum hinreissend ausstrahlungsreichen Ensemble zusammen. Das Publikum verdankt es mit Standing Ovations für Kompanie, Choreografin und Ian McEwan himself.