Der Deutsche Buchpreis, der Schweizer Buchpreis – Kim de l’Horizons Debütroman «Blutbuch» war ein literarischer Überraschungserfolg. Dass der Roman nun seinen Weg auf die Bühnen findet, ist für Theaterinteressierte hingegen wenig überraschend.
Denn Kim de l’Horizon hat neben dem Schweizerischen Literaturinstitut den Dramenprozessor durchlaufen. Das Förderprogramm, das seit mehr als 20 Jahren Dramen-Nachwuchs auf den Weg bringt.
Kim de l’Horizon hatte eine Hausautorschaft bei den Bühnen Bern und war bereits für eine queere Kommentierung von Shakespeares «Sommernachtstraum» verantwortlich.
Später kam in Bern «Hänsel & Greta & The Big Bad Witch» zur Premiere, ein öko-queeres Märchen, in dem sich die Klimajugendlichen Hänsel und Greta (ja, wie Thunberg!) mit der Hexe verbünden, um eine Welt zu retten, die allerdings schon recht verloren anmutet. Eine so düstere wie schicke Dystopie nach dem Motto: «Je higher die Heels, desto geiler die Feels».
Nur folgerichtig, dass sich die Bühnen nun auch für das «Blutbuch» interessieren. Interessant ist, wie unterschiedlich die Umsetzungen aussehen. Das zeigt, wie reich an formalen und inhaltlichen Perspektiven der Roman ist. Er stützt Lesarten, die sich aufs schönste voneinander abheben.
Fliessendes Solo
Die Bühnen Bern haben sich für ein Solo entschieden. Das passt, da im Roman durchgehend eine erzählende Stimme präsent ist, nicht immer eindeutig, aber immer da. Diese verkörpert in Bern die Schauspielerin Lucia Kotikova.
Sie übernimmt die Ich-Stimme aus der Erzählung, tritt aber auch als die Schauspielerin auf, die diese Rolle spielt. Kotikova spricht das Publikum direkt an: «Ich bin real», sagt sie.
Es ist eine dichte Fassung. Klug verwebt sie die Suche nach der Kindheit, die Suche nach den Müttern und die erotische Suche, die auch mal drastisch sein kann – wovor sie in Bern nicht zurückschrecken.
Lucia Kotikova spielt einerseits durchlässig, andererseits unglaublich wandlungsfähig. Sie behält die suchende Grundhaltung ihrer Ausgangsfigur bei und entwickelt spielerisch und mit grosser Fantasie weitere Haltungen. Den Macho auf dem Fussballfeld, das Kind unter der Blutbuche, die Studenten, die die Welt neu erfinden – und noch viel mehr.
Verletzlichkeit, Zärtlichkeit, Arroganz, Melancholie – es ist grandios und einfach ein Riesenspass beim Zuschauen.
Drag-Show in Hannover
Bereits im Dezember kam im Schauspiel Hannover die deutsche Erstaufführung von «Blutbuch» heraus. Der Regisseur Ran Chai Bar-Zvi rahmt die Erzählung mit einer Drag-Show. Auch das ist schlau und trifft den Stoff im Kern.
Der Abend beginnt in der Foyer-Bar. Dragqueens stimmen das Publikum mit einer exquisiten Lipsync-Show auf das Spiel von Verwandlungen, Gender-Fluidität, eigenen und fremden Stimmen ein.
Auf der Bühne konzentrieren sich die drei Performenden auf den Erzählstrang der autofiktionalen Coming-of-age-Geschichte in der Auseinandersetzung mit der «Grossmeer».
In Zürich wird das «Blutbuch» zum «Blutstück»
Demnächst folgt auch im Zürcher Schauspielhaus eine Bühnenfassung des Romans, hier geht es einen Schritt weiter und aus dem «Blutbuch» wird das «Blutstück».
Kim de l’Horizon ist in Zürich selbst mit von der Partie. Regie führt Leonie Böhm, die eine Meisterin darin ist, Stimmungen und Motive aus einem Stoff herauszuklopfen und sie fassbar zu machen.