Was für ein Triumph – und das mit einem Debüt! Für den Roman «Blutbuch» ist Kim de l'Horizon im Oktober mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet worden.
Jetzt kommt der Schweizer Buchpreis dazu. Die Jury hat «Blutbuch» zum besten Deutschschweizer Buch 2022 gekürt.
Die Entscheidung wurde am Sonntagmittag bei der Preisverleihung im Theater Basel bekannt gegeben. Kim de l'Horizon kann sich über ein Preisgeld in Höhe von 30'000 Franken freuen.
«Blutbuch» und «Der Rote Diamant» galten als Favoriten
Eine grosse Überraschung ist die Prämierung de l'Horizons allerdings nicht. Im Feuilleton wurde «Blutbuch» schon lange als Favorit gehandelt – neben Thomas Hürlimanns Roman «Der Rote Diamant».
Die Wahl zwischen de l'Horizon und Hürlimann dürfte der Jury schwergefallen sein. Hürlimanns aktueller Roman ist ein hervorragender, weltkluger und raffiniert konstruierter Text.
Hinzu kommt: Für den bald 72-jährigen Thomas Hürlimann wäre eine Auszeichnung mit dem Schweizer Buchpreis einer Ehrung für sein Lebenswerk gleichgekommen. Eine Ehrung, die der Zuger Autor längst verdient hätte.
Radikal, sprachgewaltig, vielschichtig
Allerdings: Aufgabe der Jury ist es laut Reglement, «das beste erzählerische oder essayistische deutschsprachige Werk der Schweiz» eines Jahres zu küren. Das beachtliche Gesamtwerk Hürlimanns mussten die Jurorinnen also ausblenden und die nominierten Bücher isoliert betrachten.
Vor diesem Hintergrund scheint die Entscheidung für «Blutbuch» von Kim de l'Horizon richtig. «Blutbuch» ist ein ungemein vielschichtiges Buch. Dringlich, radikal, existentiell, sprachgewaltig.
Elf Jahre lang hat Kim de l'Horizon daran gearbeitet. In jeder Zeile schwingt der Kampf mit, der um jede dieser Zeilen geführt werden musste.
Debütroman nahe am eigenen Leben
Kim de l'Horizon, Jahrgang 1992, ist in Ostermundigen (BE) aufgewachsen und hat unter anderem am Literaturinstitut in Biel studiert. «Blutbuch» ist zwar ein Debüt, aber de l'Horizon schreibt schon lange. Bei den Bühnen Bern hat de l'Horizon derzeit die Hausautorenschaft inne.
Kim de l'Horizon fühlt sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugehörig. Diese Nonbinarität ist auch das Hauptthema von «Blutbuch». Die Erzählinstanz, die in Ich-Form schreibt, heisst sodann auch «Kim».
In einer binaritäts-fixierten Welt
Kim wendet sich in der Erzählung an die eigene Grossmutter. Sie ist an Demenz erkrankt, und erst dieser Umstand ermöglicht es Kim, das Schweigen zu brechen. Auf gut 300 Seiten rollt die Erzählstimme nun das eigene Leid, die eigenen Traumata aus.
Wie ist es, als non-binäre Person in einer durch und durch binaritäts-fixierten Welt aufzuwachsen und zu leben? Um diese Frage kreist das Buch – und streift dabei zahlreiche weitere Themen: die Unterdrückung der Frau, Klassenzugehörigkeiten, das Schreiben, die Sprache.
«Erzählerisches Neuland»
In der Jury-Begründung heisst es: Kim de l'Horizon habe mit «Blutbuch» Erfahrung in Literatur verwandelt und «erzählerisches Neuland» betreten.
Diesem Urteil liesse sich Vieles hinzufügen. Zum Beispiel: Die Entscheidung für Kim de l'Horizon ist keine rein zeitgeistige, sondern vor allem eine literarische. Kim de l'Horizon führt uns die Grenzen der deutschen Sprache vor – und sprengt sie.