Es war eine Sensation: Im Herbst 2022 gewann der Roman «Blutbuch» der Schweizer Autorenperson Kim de l'Horizon den Deutschen und den Schweizer Buchpreis. Inzwischen arbeiten Übersetzende unterschiedlichster Zielsprachen an dem Text – und stehen vor schwierigen Problemen.
Verschiedene Übersetzungshürden
Da ist die Muttersprache Berndeutsch, an der sich die Hauptfigur in einer Hassliebe abarbeitet. Da steht eine Anglizismen-dominierte Jugendsprache neben antiquiert-herzigen Grossmutterwörtern. Da wird aber auch konsequent gegendert.
Vor allem aber: Da ist die Standardsprache mit teilweise kaum erkennbaren Helvetismen getränkt.
Aufforderung zur Kreativität
Wie lässt sich die Mundart als Deutschschweizer Alltagssprache und «Herzenssprache» zum Beispiel ins Französische transferieren? Denn hier wurden die Dialekte in den vergangenen Jahrhunderten als minderwertige Sprachvarietäten praktisch ausgemerzt.
Rose Labourie hat die Antworten bereits gefunden: Ihre Übersetzung ins Französische wird im Herbst publiziert. Geholfen hat ihr ein Brief von Kim de l'Horizon mit der Aufforderung an alle Übersetzenden, mit der Sprache so kreativ und frei umzugehen wie im Original. Das hat Rose Labourie ernst genommen.
Für eine längere Mundartpassage im Roman suchte sie in den beinahe verschwundenen Dialekten der französischen Schweiz, in den sogenannten Patois Romands. Mit Hilfe von Wörterbüchern, Videos und Liedern wie dem berühmten «Ranz des Vaches» (Patois Fribourgeois) hat Rose Labourie einen eigenen, imaginären Dialekt kreiert. Für Französischsprechende ist er noch knapp verständlich:
«La Barbara Züllig ètè dloin la pluch chaj dè tôt lè fam dcha famy.» (Hêtre pourpre)
«dBarbara Züllig isch äuä di weisischti Frou gsi i irere Sippä.» (Blutbuch)
Dieser freie Umgang mit Sprache passt auch zum Erzähl-Ich im Roman. Denn dieses will sich schreibend dem Zwang des Eindeutigen, dem «Binaritäts-Faschismus», wie es heisst, möglichst entziehen. Gerade die Sprache erlaube diese Freiheit, «weil das Element der Sprache das Flüssige ist», wie es im Roman heisst.
Das «Truckli» wird zum «boîtillon»
Mundartwörter wie «Chrättli» oder Kosenamen wie «Bärli» haben für die Hauptfigur einen emotionalen, aber oft zwiespältigen Erinnerungswert. Um dem Gewicht dieser Wörter im Text gerecht zu werden, hat Rose Labourie eigens ein «Lexikon der Meersprache» (mit «Meersprache» wird in «Blutbuch» die Muttersprache bezeichnet) zusammengestellt. Dafür nahm sie Begriffe aus französischen Dialekten aus aller Welt zu Hilfe, aus dem Altfranzösischen, aus Fachgebieten und auch aus der eigenen Fantasie.
«Chüschele» übersetzt sie mit «chucheler» (statt korrekt «chuchoter»). Und die «Truckli» der «Grossmeer» werden im französischen Text zu «boîtillons». Ein Fachwort aus dem Mühlehandwerk, das bei Französischsprachigen viele Assoziationen wecken kann.
Bei der Lektüre des Romans hatte Rose Labourie das Gefühl, eine Art Zauberformel zu lesen, welche die Grenzen der Sprache erweitert. Im Französischen hat sie mit viel Aufwand und Kreativität eine ganz eigene Zauberformel für das «Blutbuch» erschaffen.