In der Parfumherstellung wird der Duft von Blumen mittels «Enfleurage» extrahiert, wodurch die Blume in anderer Form weiterlebt.
Die neue Oper «Lili Elbe» greift dieses Verfahren auf. Der New Yorker Erfolgskomponist und Grammy-Gewinner Tobias Picker hat sogar ein eigenes Leitmotiv dazu geschrieben.
Es wiegt in Terzen hin und her und zieht sich durch das ganze Werk. Für Picker ist die Musik der Oper wie die Enfleurage der Person Lili Elbe, die dadurch als Opernheldin weiterlebt.
Die dänische Malerin Lili Elbe war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Bekanntheit. Auch, weil sie in einem männlichen Körper geboren wurde, sich aber als Frau fühlte.
Experimentelle Eingriffe
Zuerst posierte sie vorsichtig in Frauenkleidern, bevor sie es wagte, sich als Trans-Frau zu outen. Sie war eine der ersten, die sich geschlechtsangleichenden Operationen unterzog. Lili Elbe war zu diesem Zeitpunkt Ende 40. Aufgrund der damals noch experimentellen Natur solcher Eingriffe verstarb sie schliesslich an deren Folgen.
Dem Komponisten Tobias Picker und seinem Librettisten und Lebenspartner Aryeh Lev Stollman war es wichtig, die Geschichte so authentisch wie möglich und basierend auf historischen Quellen zu erzählen. Im Mittelpunkt steht die Liebesgeschichte zwischen Elbe und ihrer Frau Gerda Wegener, aber auch ihr Coming-out und ihre körperliche Transition sind zentrale Elemente.
Trans-Perspektive
Opernsängerin Lucia Lucas, die die Rolle der Lili Elbe spielt, brachte ihre eigene Erfahrung und damit die Trans-Perspektive ein, was emotional für sie zeitweise anstrengend war. Es sei hart gewesen, alles noch einmal zu durchleben, so Lucas.
Manche Sätze aus dem Libretto habe sie während ihres Coming-outs selbst so gehört: «I don’t like that», sagte eine Kollegin zu ihr, als sie sie im Abendkleid sah. In der Oper bekommt Lili genau das von ihrer Mutter zu hören. Insgesamt sei diese Rolle für sie der wichtigste Punkt in ihrer bisherigen Karriere, sagt Lucas.
Melodisch, eingängig, postmodern
Picker bleibt auch in Lili Elbe seiner beliebten, neoromantisch-postmodernen Klangsprache treu. Die Musik ist eingängig, melodiös, oft tonal, hat rhythmischen Drive und grosse Melodiebögen à la Verdi für die Stimmen.
Die Titelpartie ist für Lucia Lucas und für ihre sonore Bariton-Stimme geschrieben. Die Rolle muss zwingend, das hält der Komponist ausdrücklich fest, mit einer Trans- oder non-binären Sänger:in besetzt werden.
Neuer Touch: Haus wie Repertoire
Der künstlerische Direktor von Konzert und Theater St. Gallen, Jan Henric Bogen, hat diese einzigartige Oper in Auftrag gegeben und bringt damit mehr Vielfalt ins Opernrepertoire.
Kühn ist, dass er sie für die Wiedereröffnung des frisch renovierten Paillard-Baus programmiert hat – in einer Zeit, wo Trans-Menschen nicht nur nach wie vor mit Transphobie konfrontiert, sondern Genderfragen im Allgemeinen in den Fokus politischer Agitation geraten sind.
Lili Elbe ist die allererste abendfüllende Oper über einen Trans-Menschen und Lucia Lucas verkörpert darin nicht nur die Geschichte der Pionierin Lili Elbe, sondern auch ihre eigene.