Ein Mann mit Maske steht in einem Klassenzimmer vor den Schülerinnen und Schülern und hält beschriftete Papierschilder in den Händen. Eins nach dem anderen lässt er hinunterflattern: «Ich brich der din hals», «Jetzt isch dis Läbe verbi», «Haha, cry bitch!». Daneben steht eine junge Frau und schluchzt vor sich hin.
Das ist eine Szene im Theaterstück «#byebitch», das aktuell in Schweizer Klassenzimmern aufgeführt wird. Es soll für die Gefahren von Cybermobbing sensibilisieren.
Dort ansetzen, wo Mobbing entsteht
Verantwortlich dafür ist das Kunstkollektiv «Stick Around» und das Schauspielhaus Zürich: «Gerade bei der Thematik Cybermobbing wollten wir das Thema in die Klassen bringen – den Ort, an dem es passiert», sagt Regisseurin Sabrina Tannen.
Es geht in diesem Stück nicht nur um das Opfer und den Täter. Es geht um alle.
In der Geschichte berichten der Vater und die beste Freundin von Mobbing-Opfer Chris davon, wie sie immer mehr erfahren, was mit Chris passiert. Auf eindrückliche Weise zeigen sie ihre eigene Hilflosigkeit in der Situation auf.
Szenograf Mikki Levy-Strasser von «Stick Around» sagt: «Es geht in diesem Stück nicht nur um das Opfer und den Täter. Sondern es geht um alle. Es geht um die ganzen Menschen, die rundherum stehen, über das Klassenzimmer hinaus.»
Aus dem echten Leben
Angelehnt ist das Stück an die wahre Geschichte von Céline Pfister . 2017 eskaliert ein Streit zwischen ihr und einer älteren Jugendlichen. Es geht auch um einen Jungen, um Eifersucht. Über die sozialen Medien erfährt Céline immer wieder öffentlich schlimmste Beleidigungen.
Irgendwann hat sie keine Kraft mehr und nimmt sich mit nur 13 Jahren das Leben. Das Letzte, was von Céline bleibt, ist ein Text auf ihrem Handy: «Gott weiss, ich habe es versucht.»
Die Eltern von Céline, die sich seit dem Suizid ihrer Tochter mit der Initiative «celinesvoice.ch» gegen Cybermobbing stark machen, haben den Entstehungsprozess des Theaterstücks begleitet. Nadya Pfister, die Mutter von Céline, hebt die Wichtigkeit der Inszenierung hervor: «Das Stück macht das, was wir machen wollen: Cybermobbing thematisieren, damit es bei den Jugendlichen enttabuisiert wird.»
«Man kann mehr mitfühlen»
Sensibilisierung im Klassenzimmer mithilfe von Theater – wie kommt das bei den Jugendlichen an? Bei der Vorpremiere in einem Klassenzimmer der Kantonsschule Rämibühl ist eine zweite Klasse der Sekundarschule aus Zürich Höngg zu Gast.
Ein Stück wie dieses soll die Frage auslösen: Wo habe ich in der Vergangenheit weggeschaut und wo kann ich in der Zukunft hinschauen?
Der Schüler Nando sagt: «Ich habe es sehr gut und informativ gefunden und es hat auch Spass gemacht, zuzuschauen.» Auch Schülerin Lena ist überzeugt von diesem Theaterformat: «Ein Theater macht mehr Eindruck, als wenn man nur darüber redet. Man kann mehr mitfühlen.»
Theater legt den Finger in die Wunde
Die Vorpremiere des Klassenzimmerstücks ist geglückt. In den kommenden Monaten soll es in Schulen im Kanton Zürich und in der Kammer im Schauspielhaus aufgeführt werden.
Theater kann nicht die Welt retten, doch es kann auf besondere Art und Weise anregen, über Missstände in der Gesellschaft nachzudenken. Das findet Mikki Levy-Strasser von «Stick Around»: «Ein Stück wie dieses soll die Frage auslösen: Wo habe ich in der Vergangenheit weggeschaut, und wo kann ich in der Zukunft hinschauen? Wir sind nicht allein mit diesen Problemen. Es gibt Ansprechpersonen, es gibt Plattformen, und es gibt eine Gesellschaft, die einen auffängt.»