Der Killer mit den hysterischen Lachanfällen ist zurück auf der Leinwand – diesmal in Begleitung einer glühenden Verehrerin. Sind die Tage als Incel, wie die unfreiwilligen Junggesellen in den USA genannt werden, für Arthur Fleck also gezählt? Es scheint so, schliesslich macht die von Lady Gaga verkörperte Harley Quinn aus ihrem Herzen keine Mördergrube: Sie gräbt den gemeinhin «Joker» genannten, mehrfachen Mörder an, der sich schon sein Leben lang nach einer Freundin sehnt.
Die Hauptrolle spielt erneut Joaquin Phoenix, der den ersten «Joker» den bis dato «mit Abstand grössten Erfolg» seiner Karriere nennt. Kein Wunder, schliesslich hat ihm Todd Phillips’ Arthouse-Superschurkenfilm, der 2019 den Goldenen Löwen gewann, den Oscar beschert. Auch die Ticketverkäufe bewegten sich auf Rekordniveau: «Joker» spielte über eine Milliarde Dollar ein und gilt als letzter veritabler Kassenhit vor der Pandemie.
Inspiriert von einem Traum
Klar, dass sich die Traumfabrik rasch eine Fortsetzung wünschte, um den Geldfluss nicht versiegen zu lassen. Doch eine solche kam für Regisseur Todd Phillips, der das Drehbuch mit Scott Silver geschrieben hatte, lange nicht infrage. Für ihn war Jokers Geschichte auserzählt – bis ihm Joaquin Phoenix einen seiner Träume schilderte.
Der bald 50-Jährige wurde nachts im Schlaf von einem singenden und tanzenden Joker überrascht. Der irre Pitch verfing und inspirierte das eingespielte Drehbuchduo flugs zu einem Skript. Und siehe da: Exakt fünf Jahre nach dem Triumph von «Joker» feierte auch dessen Nachfolger «Joker: Folie à Deux» in Venedig Premiere.
Die gewitzte Form macht die Musik
Doch handelt es sich bei «Folie à Deux» effektiv um ein waschechtes Musical, wie vielerorts zu lesen war? Lady Gaga verneint dies: «Für mich ist der Film das nicht wirklich. Der Gesang repräsentiert nur eine von vielen Ausdrucksmöglichkeiten, die den Figuren dieses Dramas offensteht.»
Trotzdem waren die Ansprüche an den Gesang durch das Mitwirken der 13-fachen Grammy-Gewinnerin riesig, wie Joaquin Phoenix an der Pressekonferenz klarstellt: «Sie sagte früh: Wir werden live singen. Ich entgegnete: Nein, werden wir nicht! Du kannst das tun, wenn du magst. Aber letztlich taten wir es beide. Und es war echt der einzige Weg.»
Das Ergebnis kann sich hören lassen: Phoenix, dessen Gesangskünste bereits das Johnny-Cash-Biopic «Walk the Line» veredelt haben, fällt kaum ab gegenüber der 38-Jährigen. Auch weil sich diese pflichtbewusst an die Vorgabe hielt: Völlig situativ zu singen, ohne ums Volumen zu ringen. In Lady Gagas Worten: «Ich musste vergessen, wie man richtig atmet, um den Song ganz aus der Figur kommen zu lassen.»
Kinokunst statt kommerzieller Fanservice
Die intime Atmosphäre, die Joaquin Phoenix und Lady Gaga zu zweit erzeugen, geht unter die Haut. In Venedig wurden die beiden Stars von Todd Phillips’ Löwenanwärter daher zurecht frenetisch gefeiert. Ob das künstlerisch ambitionierte Drama selbst den Massengeschmack trifft, steht allerdings auf einem ganz anderen Blatt.
«Ich habe den heimlichen Verdacht, dass wir den Leuten nicht das geben, was sie wollen», sagt Joker selbstreferenziell in einer Schlüsselszene. In der Tat besteht «Folie à Deux» erfreulicherweise auf seine Narrenfreiheit, statt irgendwelchen Erwartungen zu entsprechen. Was zumindest allen Überraschungsfreudigen ein Lächeln aufs Gesicht zaubern dürfte.
Kinostart: 3.10.2024