Der Schweizer Beitrag im diesjährigen Wettbewerb von Locarno ist definitiv nicht sein Höhepunkt. Ob man ihn als Tiefpunkt empfinden will, hängt von den eigenen Erwartungen ab.
Sein wortspielreicher Titel ist dabei auch sein Programm: «Nachts sind alle Katzen grau/Leoparden». Damit passt er zwar perfekt zum Filmfestival von Locarno. Doch leider geht hier, wie beim ganzen Film, die Mengenlehre nur in eine Richtung auf: Schliesslich bleiben alle Leoparden schlicht Katzen, sowohl tagsüber wie in der Nacht.
Drama am Waldrand
Als Handlungsfaden erzählt der Film von einem möglichen Verbrechen während eines Filmdrehs. Die bunte Truppe um Regisseur Valentin (alle Figuren tragen die Namen ihrer Darsteller) dreht am Waldrand ein Fetisch-Kostüm-Zombie-Lust-Drama mit viel Keuchen, Lecken, Sniffen und Herumgetolle im Wald.
Dann verschwindet der Regisseur spurlos und die Polizei taucht auf. War der Film bisher lustvoll improvisiert und bisweilen mit italienischen oder französischen Schnulzenklassikern unterlegt («Ti amo»), löst sich die ohnehin schon fliessende Grenze zwischen Produktionsrealität, filmischer Fiktion und Film im Film nun vollends auf.
Eine inszenierte Ermittlung
Viele der Figuren sind dabei eigenwillig. Da ist etwa der Inspektor mit dem schöngeschnittenen Gesicht und den goldenen Ohrsteckern. Er, seine Kolleginnen und Kollegen und der Bürgermeister des Ortes in Frankreich erinnern an die Polizisten in Bruno Dumonts Vierteiler Le p’tit Quinquin. Inkompetent, liebenswert, verschroben.
Die polizeiliche Ebene des Films funktioniert nach der Logik der erotischen Szenen-Klamotte, welche vom Team gedreht wird: Es gibt keine.
An die Stelle der üblichen Ermittlungskonventionen eines Krimis tritt das Spiel. So, wie das Filmteam die Zombieattacke im Wald nur mimt, mimen auch die Polizistendarsteller die von unzähligen Filmen vorgespurten Untersuchungsvorgänge.
Ein Vielleicht-Mord
Da werden bereits Leute vernommen und Verdachtsmomente geäussert, bevor überhaupt klar ist, ob dem Regisseur Valentin tatsächlich etwas zugestossen ist. Das wichtigste Indiz dafür liefert ein mexikanisches Crewmitglied. Der Mann schildert einen Traum, in dem er die Leiche Valentins in Plastik eingewickelt gesehen hat.
Wenig später wird die Leiche tatsächlich so im Wald gefunden. Doch bevor Bestatter Binggeli aus Zürich mit Kollegin Yana wieder aus dem Wald herausfindet, in dem sie sich beim Abholen der Leiche verirrt haben, ist der Tote schon wieder verschwunden.
Danach führt der Film bis an den mexikanischen Pazifik. In der Nacherzählung klingt das kohärenter und unterhaltsamer, als es sich tatsächlich präsentiert.
Eine Katze, die den Leoparden mimt
Der Zürcher Valentin Merz, der in Mexiko eine zweite Heimat gefunden hat, hat für seinen Spielfilmerstling auf Improvisationstheater zurückgegriffen.
Dabei gelingt die Gegenüberstellung von Fiktion, Fiktionserzeugung und filmischer Pseudorealität zuweilen ganz gut. Der Film entwickelt manchmal gar eine gewisse Poesie.
Allerdings fehlt der existentielle Atem, die mythologische Verwurzelung, wie sie etwa vor vierzig Jahren Christian Schochers improvisierte Schweizer Odyssee «Reisender Krieger» auszeichnete. Da hilft auch der Brückenschlag nach Mexiko am Ende des Films nur bedingt, trotz dessen traditionellem Umgang mit dem Tod.
Der Film war ziemlich sicher ein Abenteuer für seine Macher, wohl auch ein Vergnügen. Es ist wunderbar, dass solche Filme entstehen können. Aber selbst im oft anstrengenden Wettbewerb des Festivals von Locarno ist das kein Leopard, sondern bloss eine Katze, die einem Lichtreflex nachjagt.