Eine Woche vor der 76. Ausgabe des Filmfestivals von Locarno gab der Verwaltungsrat am Montag die designierte Nachfolge für seinen langjährigen Präsidenten Marco Solari bekannt: Es ist die weltweit vernetzte Kunstmäzenin und Roche-Erbin Maja Hoffmann.
Über ihre Kandidatur als Mitglied des Verwaltungsrates und Präsidentin per 2024 bestimmt eine ausserordentliche Generalversammlung im September 2023. Sie wäre die erste Frau in diesem Amt.
In seiner Rolle als Präsident stelle er das grösste Klumpenrisiko für das Filmfestival von Locarno dar, erklärte Marco Solari 2007. 120 Prozent ehrenamtliche Arbeit seien einfach zu viel.
Zu dem Schluss war eine Studie gekommen. In der Folge bekam das Festival zusätzlich zum künstlerischen Leiter und dem Ehrenpräsidenten einen fixen Geschäftsführer.
Der Direktion den Rücken freihalten
23 Jahre lang hat der einstige Tessiner Tourismusdirektor das «Festival Internationale del Film di Locarno» mit Geschick und Diplomatie durch alle Untiefen der Tessiner Lokalpolitik geführt. Er hat das Budget und die Subventionen vervielfacht, Sponsoren überzeugt, die Infrastruktur ausgebaut, Brücken zur Universität konstruiert und sechs künstlerischen Direktorinnen und Direktoren den Rücken freigehalten.
Solari hat «seinem» Festival lokal und national solide Fundamente verpasst. In seinem 80. Lebensjahr kann er sich nun zufrieden zurücklehnen: Das drängendste Problem – seine Nachfolge – ist nun auch gelöst.
Weltweit renommierte Mäzenin
Maja Hoffmann gehört zu den weltweit renommiertesten (und reichsten) Kunstmäzeninnen überhaupt. Die Roche-Erbin mit Jahrgang 1956 hat in den 1980er-Jahren angefangen, Kunst zu sammeln, als sie in New York Film studierte. Die Kunstsammlung ihrer Grosseltern ist ein Teil des Basler Museums für Gegenwartskunst und des Schaulagers.
Unter anderem mit ihrer 2004 gegründeten LUMA-Stiftung für Kunstförderung und dem ab 2013 im französischen Arles etablierten Ableger hat Maja Hoffmann eine Reihe von Künstler-Dokumentarfilmen («Marina Abramovic: The Artist Is Present», 2012) produziert und einen Spielfilm (Tony Gatlifs «Tom Medina», 2021).
Ein Turm von Frank Gehry
Für mehr als 100 Millionen Euro hat Maja Hoffmann vom amerikanischen Star-Architekten Frank Gehry in Arles einen silbrigen Turm bauen lassen. Das «Centre pour la dignité humaine et la conscience écologique» ist eine Art Zukunftslabor und eine «Plattform für zeitgenössisches und zukünftiges Schaffen».
Hoffmann ist zudem Präsidentin des Swiss Institute in New York und arbeitet mit einer ganzen Reihe von Kunstinstitutionen zusammen, von der Londoner Serpentine Gallery über die Vincent-van-Gogh-Stiftung in Arles bis zur Biennale in Venedig.
Wie präsent wird sie sein?
Ob die neue Präsidentin des Filmfestivals bei ihrer ersten Ausgabe im nächsten Jahr so omnipräsent sein wird wie der ausdauernde Redenhalter und Sponsoren-Networker Marco Solari, der alle und jeden vor Ort kennt und begrüsst?
Solari hat dem Festival solide Fundamente verpasst, und zumindest in der Filmwelt hatte Locarno schon immer einen internationalen Ruf. Mit Maja Hoffmann könnte dieser nun über die Filmszene hinaus weiterwachsen – ihre Welt ist ausgesprochen vielfältig.
Und im Hinblick auf Locarnos latente Rivalität zum fast 60 Jahre jüngeren Parvenü Zurich Film Festival ist Maja Hoffmann ein wahrhaft internationaler Trumpf.