Als der Regisseur Robert Eggers 17 Jahre alt war, inszenierte er Nosferatu als Theaterstück – mit sich selbst in der Hauptrolle als titelgebender Blutsauger. Seit über einem Jahrzehnt träumt er davon, den legendären Stummfilm von 1922 neu zu interpretieren. Jetzt ist es vollbracht – und die Liebe zum Original ist gleich zu Beginn spürbar.
Schon die erste Szene ist eine Referenz an eines der bekanntesten Bilder der Filmgeschichte: Nosferatu, den man nur als Silhouette sieht, wie er die Protagonistin Ellen heimsucht.
Erdrückend düster
Eggers perfektioniert das expressionistische Spiel mit Licht und Schatten, das den Stummfilm von 1922 so ikonisch macht, und schafft eine Stimmung, die sowohl erdrückend düster als auch visuell überwältigend ist.
Wir sind auch hier zu Beginn der Geschichte in der fiktiven deutschen Stadt Wisborg. Thomas Hutter wird von seinem dubiosen Chef beauftragt, einem Grafen aus Rumänien ein Haus in Wisborg zu verkaufen.
Die Reise zum Schloss des Grafen ist von einer schauerhaften Schönheit. Eggers malt mit Licht, Schatten und Grautönen Bilder verschneiter Wälder, die an Gemälde erinnern, die direkt aus der Schwarzen Romantik stammen könnten.
Nosferatu aus der Hölle
Doch nicht nur die Atmosphäre in «Nosferatu» ist atemberaubend. Robert Eggers weiss gekonnt den legendären Vampir zu mystifizieren und zu inszenieren. Als Thomas im Schloss ankommt, wird Graf Orlok aka Nosferatu (unerkennbar: Bill Skarsgård) nur schrittweise enthüllt.
Erst erscheint er als Schatten im Hintergrund. Nach und nach werden Details seines Gesichts sichtbar, seine bucklige Silhouette, seine klauenhaften Finger. Schliesslich hören wir seine dämonische Stimme.
Robert Eggers Nosferatu ist ein Bösewicht, der direkt aus der Hölle gekrochen zu sein scheint – weit weg von sexy Vampir-Darstellungen aus den letzten Jahrzehnten à la Edward Cullen und Co.
Sex, Wahnsinn und Hysterie
Thomas frisch vermählte Frau wird seit ihrer Kindheit von Albträumen, düsteren Vorahnungen und unkontrollierbaren Anfällen geplagt. Diese intensivieren sich, als Thomas sich auf die Reise macht.
Ellen fürchtet Nosferatu, ruft ihn aber gleichzeitig zu sich. Natürlich wird sie nicht ernst genommen und für hysterisch erklärt. Lily-Rose Depp liefert hier eine eindrücklich körperliche Performance, die genauso verstörend ist, wie der Bösewicht der Geschichte.
Makabre Sinnlichkeit
Es gibt unzählige Interpretationen zu Franz W. Murnaus «Nosferatu»: Er symbolisiere etwa die Angst vor dem Fremden, sei die Personifikation von Ängsten vor der Moderne oder Seuchen wie der Pest. Eggers rückt in seiner Version die sexuelle Dimension des Vampirs in den Vordergrund.
Sein Nosferatu ist eine verführerische und zugleich zerstörerische Macht – eine Verkörperung der Angst vor den eigenen dunklen Begierden. Deshalb ist der Film auch durchzogen von einer makabren Sinnlichkeit.
Ein Albtraum
Eggers geht es nicht um eine Aktualisierung der Geschichte, oder darum, «Nosferatu» auf die Gegenwart zu beziehen. Eher nutzt er modernste filmische Mittel und sein ausgefeiltes Horror-Handwerk, um uns in das eintauchen zu lassen, was sich wie ein Albtraum einer Person aus dem 19. Jahrhunderts anfühlt.
Dabei ist «Nosferatu» dank Eggers spürbaren intensiven Recherchen immersiv und überzeugend. Dem Publikum geht es dabei wie Ellen: Es ist verängstigt und verführt zugleich.