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20 Jahre Youtube Ohne Youtube würden wir ganz schön doof in die Röhre gucken

Was als Datingplattform floppte, läuft heute in Dauerschleife. Meilensteine eines Massenphänomens.

Im Silicon Valley gilt das Motto «Move fast and break things» – mach schnell vorwärts und kümmere dich nicht darum, ob dabei etwas kaputtgeht. Manchmal kann das, was in die Brüche geht, auch der Gründungszweck des eigenen Unternehmens sein, so zum Beispiel bei Instagram: Das soziale Netzwerk startete als Check-In-App, bevor man auf das Teilen von Fotos umschwenkte.

Die Gründungsmythen von Youtube

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Ein Portrait der drei YouTube-Gründer Gründer Chad Hurley, Steve Chen und Jawed Karim
Legende: Gründer Chad Hurley, Steve Chen und Jawed Karim Imago/Zuma Wire Press

Youtube wurde am 14. Februar 2005 gegründet, zwei Monate bevor am 24. April das erste Video auf die Plattform geladen wurde. Die drei Gründer Chad Hurley, Steve Chen und Jawed Karim hatten sich bei der Arbeit für den Bezahldienst PayPal kennengelernt und waren dank der Übernahme des Unternehmens durch eBay reich geworden.

Mithilfe einer PR-Agentur entstand Youtubes Gründungsgeschichte, Chen und Hurley seien durch eine Dinnerparty inspiriert worden, bei der sie vergeblich versuchten, Videos miteinander zu teilen.

Karim dagegen behauptet, die Idee für Youtube sei ihm gekommen, nachdem er im Internet vergeblich nach Videos vom Tsunami im Indischen Ozean oder Janet Jacksons entblösster Brust beim Super Bowl gesucht habe.

Tatsächlich ist die Plattform wohl als Dating-Dienst gestartet, aus dem mangels Erfolg rasch eine Video-Plattform für alle wurde.

Hätten sich die ursprünglichen Pläne hinter Youtube erfüllt, dann wäre die Video-Plattform heute ein Dating-Dienst, eine Art Tinder mit Videos. «Wir wollten etwas mit Video machen und dachten, Dating sei die logische Wahl», erinnerte sich Mit-Gründer Steve Chen vor einigen Jahren. Mit-Gründer Jawed Karim ergänzte später: «Wir hatten sogar einen Slogan dafür: ‹Tune in, Hook up›.» Per Annonce wurden Frauen aufgefordert, Videos von sich auf YouTube zu laden und dafür eine Belohnung von 100 Dollar zu erhalten.

Vom Zoo zur zweitmeistbesuchten Webseite

Doch als nach einer Woche noch kein einziges Dating-Video auf der neuen Plattform gelandet war, öffnete sich Youtube notgedrungen für andere Inhalte. Das erste Youtube-Video hat darum wenig mit Partnersuche zu tun: Es zeigt den 25-jährigen Jawed Karim, der vor dem Elefanten-Gehege des San Diego Zoos etwas unbeholfen feststellt, dass Elefanten lange Rüssel haben.

20 Jahre später sind zu Karims Zoo-Video geschätzte 14 Milliarden weitere Videos dazugekommen. Aus Youtube ist die grösste Video-Plattform der Welt geworden, die zweitmeistbesuchte Webseite nach google.com.

Noch mehr schwindelerregende Zahlen: Schätzungsweise wird jede Minute mehr als 500 Stunden Videomaterial auf die Youtube geladen, 720'000 Stunden pro Tag. Ein Mensch könnte also 82 Jahre lang nur Youtube schauen und hätte immer noch nicht all die Videos gesehen, die an einem einzelnen Tag neu erscheinen.

Ob Musikvideo oder wissenschaftliche Abhandlungen, ob Reisebericht, Make-up-Tutorial oder Verschwörungserzählungen: Auf Youtube findet sich alles, wofür sich ein Mensch interessiert. Oder eben auch nicht.

Es gibt sie: Videos, die niemand sehen will

Seiten wie Astronaut.io sammeln Youtube-Videos, die noch kaum ein Mensch gesehen hat. Sie sind der riesige unsichtbare Teil des Youtube-Eisbergs, neben den meist gesehenen Videos wie «Baby Shark Dance» (über 15 Milliarden Views), «Despacito» (über 8 Milliarden Views) oder «Wheels on the Bus» (über 7 Millionen Views). Es sind Videos, mit nur einer Handvoll oder gar keinen Views, die Namen wie «IMG 0073» tragen und weinende Babys oder schlecht besuchte Taekwondo-Turniere zeigen.

Der unsichtbare Teil des Eisbergs

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Videos mit 10'000 oder mehr Aufrufen sind bei Youtube zwar für fast 94 Prozent aller Views verantwortlich, machen aber weniger als 4 Prozent der gesamten Uploads aus. Knapp 5 Prozent der Videos werden überhaupt nicht angesehen, fast drei Viertel haben keine Kommentare und noch mehr haben keine Likes.

Die Popularität eines Videos ist dabei überwiegend algorithmisch bedingt: Empfehlungen des Youtube-Algorithmus und nicht Abonnements sind die Haupttreiber. Soll heissen: Das Publikum sucht eher selten gezielt nach Videos, sieht sich nur einen Bruchteil des gesamten Angebots an und folgt stattdessen dem, was der Algorithmus ihm vorschlägt.

Youtube ist heute weit mehr als nur eine Video-Plattform: Youtube ist wichtige Infrastruktur – das Rückgrat des Bewegtbild-Internets. Die einen wollen mit ihren Videos Millionen erreichen, die anderen nutzen die Plattform als mehr oder weniger privates Fotoalbum. Ein Ort, an dem Unternehmen ihre neusten Produkte genau so zeigen wie Familien ihr neues Baby.

Googles Coup und Youtubes Rettung

Doch bald schon drohte die Plattform am eigenen Erfolg zu zerbrechen: Die Schwemme neu hochgeladener Videos machte immer mehr Speicherplatz nötig. «Wir sind wie verrückt gewachsen. Die Zahl der Video-Aufrufe nahm exponentiell zu. Wir haben uns jeden Server genommen, den wir finden konnten», sagte der Ingenieur und erste Youtube-Angestellte Yu Pan über diese Zeit.

Wie viel Speicher Youtube heute braucht, ist nicht bekannt. Schätzungen sprechen von Exabytes oder gar Zettabytes – ein Zettabyte entspricht einer Billion Gigabytes.

Eine weitere Herausforderung: Zunehmend fand auch urheberrechtlich geschütztes Material seinen Weg auf die Plattform und Youtube sah sich mit Klagen von Rechteinhabern wie Musik-Labels konfrontiert. Diese Probleme nahmen erst ein Ende, als Google Youtube im November 2006 für den damals stolzen Preis von 1,65 Milliarden Dollar übernahm und somit viel Geld in die Infrastruktur der Plattform investiert werden konnte. Googles Kauf hat sich indes mehrfach gelohnt: Der Wert von Youtube wird heute auf bis zu 400 Milliarden Dollar geschätzt.

So beendete Google das Problem mit dem Urheberrecht

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2007, wenige Monate nach dem Kauf von Youtube, entwickelte Google mit der sogenannten Content ID ein System, um die rechtlichen und wirtschaftlichen Ansprüche Dritter abzugelten und sich vor Millionen-Klagen zu schützen.

Ein wesentlicher Bestandteil von Content ID ist eine Datenbank, in die Medienkonzerne und Rechteinhaber ihre audio- oder audiovisuellen Dateien als Referenz für den Abgleich mit den auf Youtube veröffentlichten Videos abspeichern können.

Mit viralen Videos Millionen verdienen

Google hatte die finanziellen Mittel, um die Plattform weiter wachsen zu lassen und implementierte 2007 eine weitere Neuerung, die sich als massgebend für den langfristigen Erfolg von Youtube erweisen sollte: das Partner-Programm, das es Nutzerinnen und Nutzern möglich macht, per Beteiligung an den Werbeeinnahmen mit ihren Videos Geld zu verdienen. Wird ein Video 100 Mal geschaut, fallen etwa fünf Dollar für den Macher oder die Macherin ab. Ein virales Video, das mehrere hundert Millionen Views sammelt, kann also Millionen in die Kasse spülen.

Youtube soll durch das Partner-Programm allein in den letzten drei Jahren über 70 Milliarden Dollar an die sogenannten «Content Creators» ausbezahlt haben – natürlich immer erst, nachdem das Unternehmen selber Geld verdient hat.

Das Zeitalter der Youtube-Creator begann

War die erste Youtube-Ära noch von mehr oder weniger wackelig gefilmten Home-Videos und zufälligen viralen Hits geprägt, begann mit Einführung des Partner-Programms ein neues Zeitalter: Es entstand eine Klasse von Youtuberinnen und Youtubern, die die Plattform seither mit immer professioneller gemachten Videos versorgen.

Erste Youtube-Stars traten auf den Plan, wie der Schwede Felix Arvid Ulf Kjellberg, dem unter dem Namen PewDiePie bald Millionen beim Gamen zuschauten. Andere prominente Youtuber waren in Nischen wie Beauty-Tutorials oder Challenge-Videos erfolgreich. Doch niemand wusste den Youtube-Algorithmus je so zielgenau zu bedienen wie Jimmy Donaldson, besser bekannt als MrBeast.

Rekordverdächtige Youtube-Creator und Videos

Donaldson, der sein erstes Video vor 13 Jahren auf die Plattform lud, hat über Jahre hinweg genau studiert, was einen viralen Hit ausmacht und seine Videos entsprechend optimiert: Jeder Schnitt, alle Einblender, die Titel und jedes Teaserbild ist darauf ausgerichtet, dem Youtube-Algorithmus zu gefallen. Damit ist MrBeast so berühmt geworden, dass er mit seiner Game-Show «Beast Games» als erster Youtuber auch abseits der Plattform einen Erfolg feiern konnte.

Es kann nicht genug Inhalte geben

«Beast Games» wurde von der Kritik zwar verrissen, gilt aber auf der Streaming-Plattform Amazon Prime mit 50 Millionen Zuschauenden als die meistgesehene Reality-Show aller Zeiten.

Und der Einfluss von Youtube dürfte sich in Zukunft auf weitere Medien ausdehnen: So soll sich Disney überlegen, auf seiner Streaming-Plattform Disney+ ebenfalls Videos von Creators zu zeigen. Denn die unendliche Menge der von Dritten erstellten Inhalte, die Youtube zum Erfolg verholfen hat, könnte den riesigen Hunger grosser Streamer stillen, die immer nach neuem Material suchen.

Wie sieht das Youtube der Zukunft aus?

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Es zeichnet sich ab, dass das Zeitalter der Creator wie MrBeast sich langsam dem Ende neigt, da immer mehr Nachahmer die Plattform fluten und der Algorithmus entsprechende Videos schlechter ausspielt. Aktuell kristallisieren sich zwei grosse Nutzungsszenarien für Youtube heraus:

Zum einen erfreuen sich Youtube-Shorts zunehmender Beliebtheit – kurze vertikale Videos, die vornehmlich am Smartphone geschaut werden. Damit tritt Youtube in direkte Konkurrenz mit TikTok und Instagram-Reels.

Zum anderen wird Youtube immer öfter auch auf dem grossen Bildschirm geschaut: Laut dem Marktforschungsunternehmen Nielsen war Youtube in den letzten zwei Jahren die Nummer eins bei der Nutzungsdauer von Fernsehsendungen in den USA. Das haben auch viele Youtuberinnen und Youtuber gemerkt und setzen zunehmend auf lange Formate in Primetime-Qualität, die auch auf dem TV im Wohnzimmer gut funktionieren.

Radio SRF 3, 14.12.2025, 07:15 Uhr

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