Im Jahr 2004 war Mark Zuckerberg noch keine 20 Jahre alt. Dennoch hatte er am Harvard College bereits den Ruf eines Programmier-Wunderkinds. In seinem zweiten Studienjahr entwickelte er ein Programm namens «Facemash», das Fotos der Bewohnerinnen aller Studierendenwohnheime sammelte. Man konnte damit darüber abstimmen, wer von ihnen am besten aussah.
Das sorgte für Ärger, denn die Fotos hatte sich Zuckerberg per Hack in die Datenbanken der Harvard-Wohnheime besorgt. Später musste er sich öffentlich dafür entschuldigen. Doch da arbeitete er längst an einer neuen Seite, bei der die Nutzerinnen und Nutzer ihre Fotos bald freiwillig hochluden: «Thefacebook». Das Geburtsdatum dieses sozialen Netzwerks: der 4. Februar 2004.
Von Harvard aus verbreitete sich das soziale Netzwerk rasch an anderen amerikanischen Universitäten. Es war so erfolgreich, dass Mark Zuckerberg Harvard ohne Abschluss verliess und sich in Kalifornien ganz dem neuen Projekt widmete. Später verlieh ihm seine Alma Mater die Ehrendoktorwürde.
Vom Anschau-Web zum Mitmach-Web
Nur zwei Jahre nach dem Start von Facebook schlug Zuckerberg das Angebot des damaligen Internet-Giganten Yahoo aus, das Portal für eine Milliarde Dollar zu kaufen. Yahoo habe das Potenzial von Facebook unterschätzt, liess er später verlauten.
Denn Facebook läutete eine neue Ära des Internets ein, das sogenannte Web 2.0, das «soziale» Internet, mit dem sich durch das Datensammeln und personalisierte Werbung sehr viel Geld verdienen lässt. Meta, der Konzern, der aus Facebook entstand, hat heute einen Börsenwert von nahezu 1000 Milliarden Dollar.
Der Aufstieg der Datenkrake
Erste soziale Netzwerke waren zwar schon in den 1990er-Jahren entstanden, doch erst mit Facebook kam das Prinzip bei der Masse an. Bald veröffentlichte Jung und ein wenig später auch Alt munter Statusmeldungen, Ferienfotos und allerlei persönliche Angaben.
Nicht zu Unrecht hatte Facebook bald den Ruf, eine Datenkrake zu sein. Mark Zuckerberg machte nie einen Hehl daraus, dass er sich wenig um die Privatsphäre seiner Nutzerinnen und Nutzer kümmert.
2010 erklärte er öffentlich, alte Vorbehalte seien obsolet geworden: «Die Menschen haben sich angewöhnt, nicht nur mehr Informationen miteinander zu teilen, sondern auch offener und mit mehr Menschen.»
Die Behörden waren oft anderer Ansicht: In den vergangenen Jahren ist Meta wiederholt und in verschiedenen Ländern wegen Verstössen gegen das Datenschutzgesetz gebüsst worden. Im Mai 2023 verhängte die irische Aufsichtsbehörde gar eine Rekordstrafe von 1.2 Milliarden Euro. Bei Jahresumsätzen von bis zu über 30 Milliarden Dollar gibt so eine Busse Meta aber kaum einen Grund, weniger Daten zu sammeln.
Einfluss auf Politik und Psyche?
Mangelnder Datenschutz ist nur einer von vielen Vorwürfen, die Facebook in den vergangenen 20 Jahren gemacht wurden. Auch wegen undurchsichtiger Moderationspraktiken, ihrer Mitschuld am Mediensterben, monopolistischem Wettbewerbsverhalten, «Steuervermeidung», schlechten Arbeitsbedingungen oder dem grossen Energieverbrauch ihrer Rechenzentren steht die Plattform in der Kritik.
Oft muss Facebook dabei als Stellvertreterin für soziale Netzwerke an sich herhalten – viel von dieser Kritik könnte ebenso für die Meta-Plattform Instagram gelten, für Twitter, das heute X heisst, oder für Tiktok.
Das gilt auch für zwei andere, oft gehörte Kritikpunkte: Zum einen, dass Facebooks Algorithmen kontroverse Inhalte bevorzugen würden, weil diese für besonders viel Engagement sorgten. Das halte Nutzerinnen und Nutzer lange auf der Plattform – wo man ihnen mehr Werbung anzeigen kann.
Die kontroversen Inhalte trügen auch zur politischen Polarisierung bei. Durch die Verbreitung von Fake News und die Bildung von Filterblasen wirke Facebook doppelt negativ auf den politischen Prozess ein.
Krank, weil bei Facebook oder bei Facebook, weil krank?
Zum anderen habe Facebook einen negativen Einfluss auf die mentale Gesundheit, vor allem bei seinen jugendlichen Nutzerinnen und Nutzern. Der ständige Zwang, sich im Netzwerk vorteilhaft zu präsentieren und dabei mit anderen zu messen, könne zu Depressionen führen. Zuweilen fällt sogar der Begriff der «Social-Media-Sucht», wenn es um die besonders intensive Nutzung von Facebook geht.
Doch aus wissenschaftlicher Sicht lässt sich das alles kaum bestätigen: «Der Einfluss der Plattform ist forschungstheoretisch schwierig zu fassen», sagt Ulla Autenrieth. Sie beschäftigt sich als Dozentin und Forschungsleiterin am Institut für Multimedia Production der Fachhochschule Graubünden mit den sozialen Medien.
Zu schwierig sei es, Facebook gegen andere Einflüsse abzugrenzen, gegen andere Medien oder gegen politische Kampagnen: «Was da jetzt was beeinflusst, ist so eindeutig gar nicht zu sagen.»
Es ist nicht so, dass ich umso mehr Depressionen habe, je mehr ich auf Facebook bin.
Was den negativen Einfluss auf die psychische Gesundheit angeht, stellt Autenrieth fest: «In der Tendenz ist dieser Zusammenhang nicht belegbar. Es ist nicht so, dass ich umso mehr Depressionen habe, je mehr ich auf Facebook bin.»
Es könne zwar sein, dass Leute, die viel Zeit mit Facebook verbringen, mehr psychische Erkrankungen hätten. Doch da stelle sich die Frage: «Werden sie krank, weil sie auf Facebook sind? Oder gehen sie auf Facebook, weil sie psychische Probleme haben?»
Positive Effekte sind belegt
Das soll nicht heissen, dass es gar keine Probleme gibt. Interne Untersuchungen, die 2021 durch eine Whistleblowerin publik wurden, zeigen, dass auch Meta sich dessen bewusst ist.
Ihre Ergebnisse legen nahe, dass soziale Medien – in diesem Fall ging es um Instagram – für einen Teil der jungen Nutzerinnen und Nutzer schädlich sind, wobei Mädchen im Teenageralter am stärksten betroffen sind.
Allerdings: Die Stichprobengrösse der entsprechenden Studien war zu klein, um aus ihnen seriöse Rückschlüsse zu ziehen. Und unter zwölf Faktoren war Körperwahrnehmung der einzige, bei dem mehr Mädchen Instagram einen negativen als einen positiven Einfluss zuschrieben.
Ging es dagegen um Probleme wie Einsamkeit, Essstörungen oder Angstzustände, wurde Instagram häufiger als Teil der Lösung denn als Teil des Problems genannt. Auch Ulla Autenrieth stellt fest: «Es gibt mittlerweile recht eindeutige Forschung, die eben diese positiven Effekte belegt.»
Gerade Jugendlichen, die in ihrem sozialen Umfeld kaum Anschluss fänden, ermöglichten soziale Medien, auszubrechen und Gleichgesinnte zu treffen. «Daraus können sich wirkliche Freundschaften entwickeln und gegenseitige Unterstützung – das kann einen sehr positiven Effekt haben», sagt die Forscherin.
Ähnlich sieht es aus, wenn es um Facebooks Einfluss auf den politischen Prozess geht. Seit Jahren wird das soziale Netzwerk dafür kritisiert, es halte seine Nutzerinnen und Nutzer in sogenannten «Filterblasen» gefangen: Es versuche, algorithmisch vorauszusagen, was jemanden interessiere und blende alle anderen Informationen aus.
Die isolierende Wirkung solcher Blasen, so der Vorwurf, trage zur politischen Polarisierung bei.
In Studien war die behauptete Wirkung auf die politische Polarisierung nicht nachweisbar.
«In Wirklichkeit sind diese Filterblasen aber viel durchlässiger als angenommen», sagt Karsten Donnay, Leiter der Forschungsgruppe zu politischem Verhalten und digitalen Medien an der Universität Zürich. «In Studien in den USA war die behauptete Wirkung auf die politische Polarisierung nicht nachweisbar – der Algorithmus hatte keinen Einfluss auf die politische Einstellung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.»
Konträr zur Theorie der Filterblasen kam eine Studie sogar zur Feststellung, dass Nutzerinnen und Nutzer sozialer Medien mehr und vielfältigeren Informationen ausgesetzt waren als die Social-Media-abstinente Vergleichsgruppe.
Neuste Forschungsergebnisse zeigen zwar, dass Facebook durchaus Einfluss darauf hat, wie sich Informationen in der Öffentlichkeit verbreiten. Doch die Studien fanden keinen Hinweis darauf, dass die Plattform tatsächlich Einstellungen ändern kann oder die politische Meinungsmache fördert.
Keine Daten für die Facebook-Forschung
Der Einfluss von Facebook auf den politischen Prozess ist also bei Weitem nicht so ausgeprägt, wie von den Medien gerne behauptet. Vor allem ist Facebook nicht das einzige Medium, das einen solchen Einfluss ausübt: Studien zeigen, dass etwa bei den US-Präsidentschaftswahlen 2016 der Fernsehsender Fox News oder Donald Trumps Kampagne weitaus wichtiger waren als das soziale Netzwerk.
Für die Forschung ist auch nach 20 Jahren Facebook vieles noch nicht klar – vor allem, wenn es um die Situation ausserhalb der USA geht. «Manches würden wir besser verstehen, wenn wir mehr Datenzugänge hätten», stellt Karsten Donnay fest.
In den USA habe das Netzwerk in der Vergangenheit in einzelnen Fällen zwar umfangreiches Datenmaterial für wissenschaftliche Studien herausgegeben. «Aber wenn ich jetzt komme und sage, ich möchte das gerne für die Schweiz haben, dann komme ich da wahrscheinlich nicht sehr weit.»
So gut Facebook beim Sammeln von Daten ist, so schlecht ist das Netzwerk also, wenn es darum geht, diese Daten auch mit der Wissenschaft zu teilen.
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