«Bis ich in den Kindergarten kam, konnte ich nur Albanisch», sagt Marash Pulaj. Er ist PR-Berater, Rapper und Moderator aus Luzern; seine Eltern kamen aus Kosovo in die Schweiz. Aber längst ist Schweizerdeutsch die Sprache, in der er denkt und sich am präzisesten ausdrücken kann.
Pulaj ist einer von über 300'000 albanischsprachigen Menschen in der Schweiz – das sind 3.5 Prozent der Bevölkerung. Albanisch ist damit nach Englisch die zweitgrösste Nicht-Landessprache der Schweiz.
Seit Jahrzehnten nimmt die Zahl der Albanischsprachigen in der Schweiz zu. Bis in die 1980er-Jahre waren es vor allem Saisonniers, die in der Schweiz arbeiteten. Sie fielen kaum auf. Auch, weil sie oft von der Schweizer Gesellschaft abgeschottet in Arbeiterbaracken untergebracht waren.
Als die Repressalien gegenüber Albanerinnen und Albanern in Jugoslawien zunahmen, zogen viele Saisonniers definitiv in die Schweiz und holten in vielen Fällen auch ihre Familie nach.
Aufgrund des Kosovokriegs Ende der 1990er-Jahre wuchs die albanische Diaspora noch einmal an. Ein Grossteil der Geflüchteten kehrte zwar bald nach Kriegsende wieder zurück. Einige aber blieben und bauten sich in der Schweiz eine neue Existenz auf – und gaben die albanische Sprache hier auch an ihre Kinder weiter.
Integration und Sprachwechsel
Heute – Jahrzehnte später – ist die albanischsprachige Gemeinschaft grösstenteils in die schweizerische Gesellschaft integriert. Es gibt albanischstämmige Politikerinnen, Fussballer, Geschäftsleute oder Künstlerinnen.
Viele von ihnen gehören der zweiten oder dritten Generation an. Sie sind in der Schweiz aufgewachsen und sprechen selbstverständlich eine Landessprache auf Muttersprachniveau. Albanisch hingegen beherrschen nicht alle gleich gut.
Und nicht alle sprechen auch mit ihren Kindern täglich Albanisch – ein Anzeichen dafür, dass ein Sprachwechsel im Gang ist. Die albanischstämmige Gemeinschaft in der Schweiz ist im Begriff, ihre Herkunftssprache zu verlieren.
Albanisch hat kaum Prestige
Der Sprachwissenschaftler Naxhi Selimi von der Pädagogischen Hochschule Schwyz hat den Sprachgebrauch Albanischstämmiger in der Schweiz untersucht. Er sieht die Gründe für den Sprachwechsel in der fortschreitenden Integration, aber auch im geringen Prestige des Albanischen.
So seien manche bemüht, ihren Integrationswillen auch sprachlich zum Ausdruck zu bringen: «Sie wollen nicht auffallen und vermeiden es darum, in der Öffentlichkeit Albanisch zu sprechen.» Da helfe es auch nicht gerade, dass die albanische Sprache in der Schweiz noch immer schlecht angesehen sei – im Unterschied etwa zu anderen Migrationssprachen wie Englisch, Italienisch oder Spanisch.
Beschränkung auf das Private
Die mehrheitlich negative Konnotation des Albanischen begünstige den Wechsel zur Mehrheitssprache, sagt Naxhi Selimi: «Ab der zweiten Generation sprechen Albanischstämmige auch untereinander Schweizerdeutsch. Das Albanische kommt fast nur noch in der Familie zum Zug, etwa im Kontakt mit den Grosseltern.»
Diese Entwicklung ist typisch für den Sprachwechselprozess. In welche Richtung es gehen könnte, zeigen die italienischstämmigen Menschen in der Deutschschweiz: Die Angehörigen der dritten und vierten Generation sprechen meist kein Italienisch.
Was gegen den Sprachschwund getan wird
Dabei ist der Wunsch, die Sprache zu erhalten, durchaus gross unter den Albanischstämmigen in der Schweiz. «Viele von uns sind mit der Ermahnung unserer Eltern aufgewachsen, Albanisch zu reden», erzählt Marash Pulaj. Der Luzerner moderiert die «Fol Shqip!»-Show für die albanischsprachige Diaspora. «Fol Shqip!» bedeutet übersetzt «Sprich Albanisch!».
Für seinen Moderationsjob musste Pulaj zuerst wieder richtig Albanisch lernen. Bei seinen Gästen bemerkt er einen Stolz auf die eigene Herkunft und ein starkes Bedürfnis, das Albanische auch unter den jüngeren Generationen zu erhalten. Aber Ideale und Realität klaffen oft auseinander, wie die Untersuchungen von Naxhi Selimi zeigen.
Sprachkurse gegen den Sprachverlust
Immerhin gibt es in den meisten Kantonen seit langem Albanischkurse für Kinder mit albanischen Wurzeln, wie es sie auch für viele andere Migrationssprachen gibt. Der Unterricht ergänzt das mündliche Lernen in der Familie mit den grammatischen Grundlagen.
Diese Kurse sind jedoch freiwillig, oft kostenpflichtig und finden ausserhalb der Schulzeiten statt. Sie werden wohl nur von einem Bruchteil der albanischstämmigen Kinder besucht. «Das reicht nicht, um den Sprachwechsel aufzuhalten», sagt Naxhi Selimi.
Binationale Familien als Rettung?
Immerhin könnten die Kinder, die die Albanischkurse belegen, in den Ferien im Ursprungsland leichter kommunizieren, meint Selimi. Und diese Beziehungen in die albanischsprachigen Länder, die weiterhin rege gepflegt werden, könnten wiederum indirekt den Sprachwechsel bremsen.
Es werden nämlich regelmässig Heiraten zwischen Albanischstämmigen aus der Schweiz und Personen aus Kosovo oder aus Nordmazedonien geschlossen. In solchen Fällen dürfte die gemeinsame Familiensprache auch bei einem Wohnsitz in der Schweiz öfter das Albanische sein. Dies könnte die Sprache in der Diaspora auch in den nächsten Jahrzehnten einigermassen lebendig halten.
Die Statistik wird wohl noch eine Zeitlang «lügen»
Obwohl die albanischstämmige Gemeinschaft in der Schweiz aktuell im Begriff ist, einen Sprachwandel zu vollziehen, dürfte sich das noch einige Jahre lang nicht in den Statistiken niederschlagen.
Zum einen dürfte der Grossteil der ersten Generation noch einige Jahre bis Jahrzehnte leben. Und zum anderen ist anzunehmen, dass viele Angehörige der Diaspora in Erhebungen auch dann das Albanische als eine ihrer (bis zu drei) Hauptsprachen angeben werden, auch wenn ihre Sprachkenntnisse nur rudimentär sind. Denn die Zugehörigkeit zu einer Sprachgruppe ist eben nicht nur eine Frage der Sprachkenntnisse, sondern auch eine des Gefühls.