Zum Inhalt springen

Bestsellerautorin im Interview Juli Zeh: «Die Weltpolitik ist kein Spielfeld für Moral»

Juli Zeh ist eine der erfolgreichsten Schriftstellerinnen Deutschlands, die als öffentliche Intellektuelle kein Blatt vor den Mund nimmt. Im Gespräch zur politischen Grosswetterlage plädiert sie dafür, sich anstelle von moralischen Fragen auf Realpolitik zu konzentrieren.

Juli Zeh

Schriftstellerin und Juristin

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Juli Zeh (bürgerlich Julia Barbara Finck) wurde 1974 in Bonn geboren und gilt als eine der erfolgreichsten Schriftstellerinnen Deutschlands. Sie wurde unter anderem mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet, ihre Romane wurden in über 35 Sprachen übersetzt. Die promovierte Juristin und ehrenamtliche Verfassungsrichterin behandelt in ihren Geschichten drängende politische Fragen wie die Spaltung der Gesellschaft, den Umgang mit Rechtsradikalen oder die Frage der Überwachung.

SRF: Kein Tag vergeht, ohne dass irgendeine neue Obszönität auf der Weltbühne einen erschüttert, besonders schlimm kürzlich das diplomatische Desaster zwischen Donald Trump und Wolodimir Selenski. Geht es Ihnen auch so?

Juli Zeh: Nein. Ich weiss, dass ich damit ein bisschen aus der allgemeinen Stimmungslage herausfalle. Natürlich macht mir Donald Trump auch Sorgen und was passiert ist, will ich in puncto Stil nicht verteidigen. Aber dass da zwei komplett gegensätzliche Positionen aneinandergeraten sind, empfinde ich weder als Überraschung noch als diplomatisches Desaster.

Entzündet hat es sich daran, dass Donald Trump und J.D. Vance nicht akzeptiert haben, Russland als Aggressor festzuhalten.

Weltpolitik ist kein Spielfeld für die Moral. Das ist knallharte Interessenpolitik und das muss es aus meiner Sicht auch sein. Wenn die USA sagen, wir halten uns gegenüber Russland die Türe offen, um im Zweifel ins Gespräch zu kommen, dann können wir das in Europa unmoralisch finden. Aber es verhindert keinen einzigen Tod.

Sie haben sich in Ihrer Doktorarbeit mit UN-Übergangsregierungen beschäftigt. Ich hätte jetzt erwartet, dass Ihnen eine starke Verteidigung des Völkerrechts wichtig ist. Putins Einmarsch in die Ukraine verletzt dieses Recht.

Ich habe absolut nichts dagegen, in einer Resolution Putin völkerrechtlich als Aggressor festzuhalten. Das ist völlig richtig. Nur ist danach der Krieg halt noch nicht zu Ende.

Auch innenpolitisch bestehen Demokratien darin, dass man Interessen klar formuliert. Und nicht, dass man moralische Positionen gegeneinanderstellt. Frieden lässt sich nicht dadurch herstellen, dass man die Welt in Gut und Böse unterteilt.

Aber es gibt doch Dinge, die sind nicht verhandelbar.

Ich appelliere nur daran, nüchtern darauf zu blicken. Bei fast allem, was uns Menschen betrifft, wird es toxisch, wenn man es übertreibt. Sei es Radfahren, Gummibärchen oder Moral.                 

Ich glaube auch, dass wir schwierigen Zeiten gegenüberstehen, was die Demokratie betrifft

Zurzeit glaube ich, dass wir im politischen Grosswettersystem zu einer Moralisierung neigen. Deswegen gehe ich automatisch in die Verteidigung der Realpolitik. Weder das eine noch das andere in Reinkultur ist richtig, sondern der Mittelweg.

Es gibt gerade an vielen Orten autokratische Herrscher, die mit demokratischen Mitteln an die Macht gelangen. Bei den Wahlen in Deutschland war die AfD die grosse Siegerin, gleichzeitig war die Wahlbeteiligung so hoch wie nie seit der Wiedervereinigung. Ist die Demokratie in bestem Zustand oder unter Druck?

Es ist fast schon auf traurige Weise lustig, dass Menschen Wahlaufrufe machen und dann Neuwähler an die Urnen gehen, die halt diese rechte Partei wählen. Aber wenn die AfD so viele Stimmen gewinnt, ist das nicht ein Demokratieproblem, sondern ein sachlich inhaltliches Problem, dass wir diese Parteien und ihr Programm nicht wollen. Aber ich glaube auch, dass wir schwierigen Zeiten gegenüberstehen, was die Demokratie betrifft.

Inwiefern?

Wir haben es mit einem Vertrauensverlust zu tun, wo von Demokratie auch ein bisschen zu viel verlangt wird. Viele Leute glauben, Demokratie ist dazu da, richtige Lösungen zu produzieren. Aber es ist in erster Linie ein Verfahren, bei dem die Mehrheit entscheidet.

Ich sehe eine gewisse Bedrohung darin, dass das Vertrauen fehlen könnte, den langwierigen demokratischen Weg zu gehen. Wir müssen die manchmal wirklich negativen Seiten in Kauf nehmen, die aus den demokratischen Verfahren resultieren. Nicht weil die Sonntagsreden das von uns verlangen, sondern weil es am Ende der einzig taugliche Weg ist.

Das Gespräch führte Barbara Bleisch.

Hinweis

Box aufklappen Box zuklappen

Dieses Gespräch ist ein stark gekürzter Auszug aus der Sendung «Sternstunde Philosophie» vom 9.3.2025, die am 5.3.2025 aufgezeichnet wurde. Das ganze Gespräch finden Sie zuoberst im Artikel oder auf Play SRF.

SRF 1, Sternstunde Philosophie, 9.3.2025, 11:00 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel