2013 erhitzt ein SRF-Comedy-Sketch die Gemüter. In Anspielung auf einen Boutique-Besuch der US-amerikanischen Talkmasterin Oprah Winfrey in Zürich wird Komikerin Birgit Steinegger zu «Frau Mgubi». Schwarz angemaltes Gesicht, grosse Lippen, Afrohaare, keine richtige Sprache, übertrieben dümmliches Gehabe: eine totale Witzfigur.
Zehn Jahre später gibt es für «Frau Mgubi» keinen Platz mehr in der Schweizer Comedy. Es habe sich vieles getan in dieser Zeit. Für einige Vertreter und Vertreterinnen aus der Comedy-Szene sogar zu viel: Wokeness und Politische Korrektheit werde zu hoch gewertet. Schwingt das Pendel nun auf die andere Seite aus? Sieht die übersensible Linke vor lauter Moral den Witz nicht mehr?
Die Suche nach dem «fast»
Vermehrt stehen Comedians wegen unangebrachten Witzen in der Kritik. Aber sollte Humor nicht alles dürfen? «Fast alles», meint Gerald Weber, Präsident des Improvisationstheaters «anundpfirsich».
Die Suche nach dem, was sich hinter dem «fast» verbirgt, ist die Suche nach einer Grenze. Einer Grenze, die sich ständig verschiebt. Daran, wo diese Grenze liegen soll, scheiden sich die Schweizer Comedy-Geister.
Flexibilität ist gefragt
Aufgrund der sich verschiebenden Grenze appelliert Ursus vom Comedy-Duo «Ursus & Nadeschkin» an die Flexibilität: «Humor muss geschmeidig und flexibel bleiben und sich anpassen.»
Urs Wehrli sieht einen Wandel in der Welt der Witze: «Ja, es gibt einige neue Pfosten, die sich uns in den Weg stellen.» Um diese müsse man halt einen Slalom fahren.
Comedy als komplizierter Slalom?
Einer dieser Slalomstangen: kulturelle Aneignung. Nadeschkin schaffte es nicht, diese Stange zu umkurven, denn ihre Dreadlocks haben ihr einen Shitstorm eingebracht. Es stünde ihr als weisser Frau nicht zu, diese Frisur zu tragen.
Ist die Kritik an den Haaren herbeigezogen? «Ja!», findet Nadeschkin. Sie versteht die Aufregung nicht: «Warum sollte ich nicht mit meinen Haaren machen, was ich will?» Sie bedauert: «Alle sind nun ein wenig mit der Handbremse unterwegs.» Man sage lieber gar nichts mehr, aus Angst etwas Falsches zu sagen.
Das klingt nach einem komplizierten Slalom.
Gehen bald die Tasten aus?
Ähnlich sieht das Frank Baumann, ehemaliger Fernsehmoderator und scheidender Direktor des Arosa Humorfestivals. Aufgrund der neuen Politischen Korrektheit sei immer weniger möglich.
Es sei, als würde man den Musizierenden sagen, sie dürfen nur noch einen bestimmten Abschnitt des Klaviers bespielen. Und wenn dann nur noch eine Oktave übrigbleibe, sei es halt nicht mehr möglich, Beethovens fünfte Symphonie zu spielen. «Es ist unanständig, der Satire etwas wegzunehmen», resümiert Baumann.
Einschränkungen als Chance
Kilian Ziegler, Slam-Poet und Comedian, sieht die Entwicklung nicht als Einschränkung. Die Gesellschaft wandle sich. Der Humor auch. Ziegler versteht nicht, warum die Comedians sich in der Opferrolle sehen würden: «Die Entwicklung kann auch kreativ beflügeln, statt einschränken.»
Ziegler hat sein eigenes Schaffen reflektiert und angepasst. Einiges würde er nicht mehr so sagen wie früher. «Der gesellschaftliche Wandel hat zu mehr Selbstreflexion geführt.» Dies sei eine grosse Chance für die Kunst. Nur so könne es einen Schritt weiter gehen.
Beflügelt, trotz weniger Tasten auf dem Flügel. Geht das auf?
Selbstreflexion statt Schadenfreude
Geht es nach Comedienne Jane Mumford, sind nicht nur Tasten weggefallen, sondern auch neue Töne hinzugekommen.
«In den 90er-Jahren gab es viel Comedy, die sich über andere lustig gemacht hat. Momentan gibt es eine schöne Entwicklung hin zu mehr Selbstironie.» Über sich selbst zu lachen sei schliesslich immer noch das Gesündeste.
Doch wenn die Comedy-Szene nur noch über sich selbst lacht, wer macht sich denn über «die da oben» lustig? Wäre das nicht auch Aufgabe der Satire – die gesellschaftskritische Komponente der Kunstform?
Über wen darf man lachen?
Wenn es nach einer inoffiziellen Comedy-Regel geht, ist es nur legitim, nach «oben», nach den Mächtigen, der Elite zu treten. Schiesst man mit seinen Witzen aber nach «unten», muss man sehr vorsichtig sein. Also ein Gag über eine Bundesrätin: ja. Über einen Obdachlosen: nein.
Klingt vernünftig, oder? So einfach sei das aber nicht, meint Comedy-Urgestein Viktor Giacobbo. Auch «unten» macht er angemessene Ziele aus: «Extreme Verschwörungstheoretiker oder Nazis, die sind alle «unten», denn sie gehören ja nicht zu den Mächtigen.» Und über diese Leute dürfe man sich auf jeden Fall lustig machen.
Was macht der Nachwuchs?
Giacobbo schaut nicht nur nach oben und unten, sondern auch nach vorne. Langsam, aber sicher gibt er das Zepter weiter. An eine neue Generation, die vieles anders sieht als er. Trotzdem möchte Giacobbo mit der jungen Comedy-Szene zusammenarbeiten. So ist beispielsweise die 20-jährige Reena Krishnaraja Teil seines Bühnenprogramms «Late Giacobbo».
Krishnaraja, SRF 3 Comedy Best Talent 2022, kombiniert altbewährte Klischees mit der von Mumford angesprochenen Selbstironie. Mit Erfolg. Denn wenn die von Rassismus selbst betroffene Krishnaraja sorgfältig Stereotype seziert, kommt das besser an, als wenn sich Birgit Steinegger einen Liter schwarze Farbe ins Gesicht klatscht.
Humor: Quo Vadis?
Für Giacobbo hat die Wachablösung in der Schweizer Comedy-Szene längst stattgefunden: «Es ist nun eine ganz neue Generation am Drücker.» Er sieht das aber gelassen, der «Late Giacobbo». Er lehnt sich zurück und freut sich auf das, was kommt.
Hoffentlich talentierte Slalomfahrerinnen und Comedians, die die Klaviatur des Humors erweitern. Und ordentlich in die Tasten hauen.
Die Interviews wurden von Igor Basic geführt.