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Die Mutter aller Fragen Wo bitte geht’s zum Sinn im Leben?

Das Gefühl, das eigene Dasein sei sinnlos oder absurd, kann einen mitten im Alltag überfallen. Doch die Philosophie bietet auch hier Hilfe.

Wenn die Tage dunkel und kalt und die Nächte lang sind, bleibt umso mehr Zeit für ausgedehntes Grübeln: Wie bin ich eigentlich in dem Leben gelandet, das nun das meine ist? Woher kommen die Leere, die Rastlosigkeit? Und vor allem: Wozu das alles?

Roter Pfeil auf Felsen in Berglandschaft.
Legende: Wie finde ich zum Sinn des Lebens? Philosophinnen und Philosophen versuchen seit jeher, hier Wegweiser zu sein. Getty Images/Ashley Cooper

Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist ein «Evergreen» der Philosophie. Schon in der Antike brüteten Philosophen über der Frage, was das alles soll: unser Leben und Leiden und dieser ganze Planet in diesem endlos weiten All.

Wer an einen Schöpfergott glaubt, scheint erst einmal fein rauszusein, weil sich die Sinnfrage scheinbar nach oben delegieren lässt.

Wir wären demnach hier, weil Gott uns geschaffen hat. Wobei dieser Gedanke nicht zwingend tröstlich sein muss: Könnte es nicht ebenso gut sein, dass eine göttliche Macht uns nur geschaffen hat als Amüsement für eine andere Spezies, die uns mit allerlei Pech und Pannen quält und sich über unser Straucheln amüsiert?

Hilft der Gottesglaube?

Gläubige Menschen mögen entgegnen, dass Gott es mit Sicherheit gut mit ihnen meint und kein Anlass zu befürchten bestehe, das eigene Leben werde für ein übles Spiel missbraucht. Doch selbst dann scheint unsere Existenz angesichts der raumzeitlichen Dimensionen des Weltalls mickrig kurz und sinnentleert.

Nahaufnahme von gelben Ameisen, die eine Brücke bilden.
Legende: Bemüht, komisch und scheiternd: Sind wir bestenfalls «Ameisen» für Dritte und ist das menschliche Leben ein absurdes Amüsement? Getty Images/Adegsm

Wenige haben das so treffend beschrieben wie der Philosoph Thomas Nagel in seinem Aufsatz über das Absurde , der zum Klassiker geworden ist.

Treten wir einen Schritt zurück und betrachten unser eigenes Leben und Streben von aussen, so wirken wir bestenfalls wie Ameisen, die sich redlich bemühen, einen Sandhügel emporzuklettern: komisch in ihrem beflissenen Tun und stets von Neuem scheiternd.

Das menschliche Leben ist, von oben betrachtet, tatsächlich absurd. Dies einzusehen, bedeutet für Nagel aber nicht, das Leben nicht wertzuschätzen.

Ganz im Gegenteil: Der Einsicht in die Absurdität des eigenen kurzen Besuchs auf Erden erwächst die Möglichkeit zur Ironie als einer spezifisch menschlichen Lebensform, in der wir uns selbst nicht mehr so tragisch ernst nehmen müssen.

Alle Versuche, an einem objektiven Lebenssinn festzuhalten, bezeichnet Nagel dagegen als Ausdruck einer nutzlosen Theatralik, die die kosmische Belanglosigkeit der eigenen Existenz überspielen will.

Der Sinn im Leben ist nicht wie der Blinddarm

Ironie als Lebenshaltung mag ein erster Trost sein. Doch hilft sie auch in einer Sinnkrise? Wohl kaum. In jüngerer Zeit haben immer mehr Philosophinnen und Philosophen sich von der metaphysischen Frage nach dem Sinn des Lebens – man könnte auch sagen, der Sinnfrage aus der Vogelperspektive – distanziert und sie als unbeantwortbar zurückgewiesen.

Stattdessen fokussieren sie auf die Frage nach dem Sinn im Leben, also auf die Sinnfrage aus der Froschperspektive.

Älterer Mann mit Brille und Lederjacke lächelt vor schwarzem Hintergrund.
Legende: Nicht den Sinn des Lebens suchen, sondern dem eigenen Leben Sinn geben – dafür plädiert Philosoph und Literaturtheoretiker Terry Eagleton. Getty Images/Leonardo Cendamo

In seinem Buch «Sinn des Lebens» bringt der Literaturwissenschaftler Terry Eagleton die Unterscheidung so auf den Punkt: Der Sinn des Lebens befindet sich nicht wie der Blinddarm im Unterleib, wir können ihn also auch nicht suchen und finden. Wir können ihn nur erfinden oder unserem eigenen Leben einhauchen oder verleihen.

Denn selbst wenn es auf das grosse «Warum?» keine Antwort zu geben scheint, leuchtet doch ein, dass man sein Leben mehr oder weniger sinnvoll zubringen kann.

Stellen wir uns eine Person vor, die täglich ins Büro marschiert, den Zweck ihrer Arbeit aber nicht erkennt und sich deshalb in der Freizeit ablenkt, mit Games, Tinder und Wellness. Wäre es nicht nachvollziehbar, wenn sie ihre Existenz als hohl empfände und nach anderen Be­schäf­tigungs­möglich­keiten Ausschau hielte?

Die Bedeutung der Leidenschaft

Die Philosophin Susan Wolf denkt seit vielen Jahren über die Frage nach, was unserem Leben Sinn verleiht. In ihrem Buch «Meaning in Life and Why It Matters» schreibt sie: Sinnerfüllt sei ein Leben dann, wenn wir uns Dingen widmeten, die wir einerseits leidenschaftlich gern tun und die andrerseits von objektivem Wert sind.

Wanderer auf Berggipfel mit Seeblick und Himmel im Hintergrund.
Legende: Produzieren wir auf dem Lebensweg, den wir beschreiten, einen objektiven Wert? Und gibt dieserdem Leben dann einen Sinn? GETTY IMAGES/OLEH_SLOBODENIUK

Die erste Bedingung leuchtet unmittelbar ein: Ein leidenschaftsloses Leben, in dem wir lustlos durch die Tage wandeln, wird die Sinnfrage wohl selbst dann an die Oberfläche spülen, wenn wir an sich wichtig finden, was wir tun.

Denken wir an Menschen, die in einer Hilfsorganisation oder in einer Schule arbeiten und wichtige Aufgaben erfüllen, aber ausgebrannt sind und sich leer fühlen. Früher oder später werden wohl auch sie sich fragen: wozu das alles? Denn Liebe oder Leidenschaft gehören zum Sinnempfinden dazu.

Buchhinweis

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Terry Eagleton: «Sinn des Lebens». 157 Seiten. Ullstein Verlag, 2008.

Susan Wolf: «Meaning in Life and Why It Matters». 162 Seiten. Princeton University Press, 2012.

Die zweite Bedingung ist schwieriger nachzuvollziehen: Dass das, was wir mit Begeisterung und Herzblut vollführen, auch von objektivem Wert sein sollte. Susan Wolf meint damit nicht, dass wir uns alle der moralischen Weltverbesserung verschreiben müssen, indem wir zum Beispiel Flüchtlingskinder unterrichten oder für eine Tierschutzorganisation Unterschriften sammeln.

Ebenso gut kann es um ästhetische, wissenschaftliche oder gesellschaftliche Werte gehen, etwa wenn Menschen einen Quartierpark anlegen helfen oder im Vereinsvorstand eines Chors mitwirken.

Ein sinnloses Leben?

Einigen mag Wolfs Vorstellung eines sinnvollen Lebens dennoch sauer aufstossen: Masst sich die Philosophin nicht an, fremde Lebensentwürfe abzuwerten? Aber das ist gar nicht Wolfs Anliegen.

Sie will niemanden erziehen oder massregeln. Vielmehr sucht sie nach einer Antwort auf die Frage, was Menschen erfüllt und was sie vielleicht am Ende ihres Lebens zufrieden zurückblicken lässt.

Frau betrachtet Goldfisch in einer Glasschüssel.
Legende: Ein sinnvolles Leben? Für die Philosophin Susan Wolf gehört dazu mehr, als einfach nur einer speziellen Leidenschaft zu frönen. imago images/imagebroker

Die Philosophie, so Wolf, sollte Menschen nicht allein lassen mit dieser Frage. Ausserdem ist ihre These vom objektiven Wert vielleicht besser zu verstehen, wenn wir umgekehrt fragen, worin ein sinnloses Leben bestünde. Wolfs eigene Beispiele sind zunehmend gewöhnungsbedürftig: Als sinnlos bezeichnet sie ein Leben, in dem eine Person tagein, tagaus Sudokus löst oder mit ihrem Goldfisch spricht.

Auch wenn das kaum jemand tun dürfte, wird mit den Beispielen verständlich, was die Philosophin damit meint: Sinn im Leben erfahren wir, wenn wir uns hingebungsvoll einem Projekt widmen, dessen Ziel in irgendeiner Weise über unser kleines Leben oder Spezialinteresse hinausweist.

Sich selbst vergessen können

Dieser Gedanke ist nicht weit entfernt von dem, wofür der österreichische Psychiater und Begründer der Logotherapie, Viktor Frankl, plädierte: Ihm zufolge finden wir Sinn im Leben, wenn wir schöpferisch wirken und anderen Gutes tun.

Denn der Mensch strebe von Natur aus nach einer Sache, in der er aufgehen könne. Mit anderen Worten sei der Mensch erst dort ganz Mensch, wo er sich selbst vergessen könne und sich in den Dienst einer guten Sache oder einer Person stelle.

Älterer Mann mit Brille und grauem Haar vor Bücherregal.
Legende: Neurologe und Psychiater Viktor Frankl möchte mit der Frage «Wozu war ich da?» den Weg zu Lebenssinn und Dankbarkeit finden. imago images/United Archives

Frankl überlebte während der Naziherrschaft mehrere KZ-Aufenthalte und machte dafür nicht zuletzt sein untrügliches Gespür für Sinnfindung verantwortlich. In Abwandlung eines Satzes von Friedrich Nietzsche schrieb Frankl: «Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie.» Wer einen Sinn in seinem Leben sieht, wird also auch mit den widrigsten Umständen fertig.

Für Viktor Frankl ist es ausschlaggebend, dass wir uns selbst in die Lage bringen, die Frage beantworten zu können: «Wozu war ich da?» Und um das einzuüben, empfiehlt er eine ganz konkrete Übung: Sich nämlich einen Abreisskalender anzuschaffen und täglich auf der Rückseite des Tages, den man vom Kalender rupft, zu notieren, wozu man an dem Tag am Leben war und wofür man dankbar ist.

Jetzt, wenige Wochen vor dem Jahreswechsel, gibt es an allen Ecken entsprechende Abreisskalender. Vielleicht ein taugliches Weihnachtsgeschenk oder ein Präsent für einen selbst zum neuen Jahr?

SRF 1, Sternstunde Philosophie, 1.12.2024, 11:00 Uhr

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