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Naturkatastrophen: Wenn der Klimawandel die Heimat zerstört
Aus Sternstunde Philosophie vom 29.09.2024.
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Fluten, Hitze und Bergstürze Klimawandel killt Heimat – warum juckt uns das nicht?

Die Berge bröckeln, das Meer steigt, die Hitze nimmt zu. Das spüren und sehen wir. Jetzt sollten wir uns – eigentlich – anstrengen, um das alles abzuwenden. Trotzdem tun wir viel zu wenig. Physiker David Bresch und Soziologe Jens Beckert erklären, wo der Hund begraben liegt.

Jens Beckert

Soziologe

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Jens Beckert ist ein deutscher Soziologe. Er ist Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln. Seine Forschungsschwerpunkte sind die soziale Einbettung der Wirtschaft, die Soziologie des Marktes, Organisationssoziologie, Soziologie der Erbschaft, Klimasoziologie und soziologische Theorie.

David Bresch

Professor für Wetter- und Klimarisiken, ETH Zürich

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David Bresch ist seit 2016 Professor für Wetter- und Klimarisiken an der ETH Zürich. Zuvor arbeitete Bresch in einer Kaderposition beim Rückversicherer Swiss Re.

SRF: Gesellschaft und Politik tun zu wenig gegen den Klimawandel. Warum?

Jens Beckert: Die Sache ist kompliziert. Wichtig sind meines Erachtens mehrere Dinge. Die erste Problematik: Die fossile Energiewirtschaft macht pro Jahr etwa eine Billion US-Dollar Gewinn. Seit 50 Jahren. Glauben Sie, dass die auf ihre Gewinne verzichten, nur weil die Temperatur ein bisschen ansteigt, wenn ich das mal zynisch ausdrücken darf?

Also ist die Wirtschaft schuld?

Jens Beckert: Nicht nur. Wir Konsumenten haben einen Lebensstil entwickelt, der extrem viel Energie verbraucht. Das muss keine fossile Energie sein, aber so ist die Entwicklung. Dieser hohe Energieverbrauch geht auf das starke Wirtschaftswachstum zurück, das uns in den letzten 70 Jahren Wohlstand gebracht und Klassenkonflikte weitgehend eliminiert hat.

Ich halte es für undenkbar, dass sich eine Mehrheit findet, die beschliesst: Wir schrumpfen unsere Ökonomie um 20 Prozent.
Autor: Jens Beckert Soziologe

Sie sagen also, die erwartete Verbesserung des Lebensstandards hat uns Frieden und Reichtum gebracht?

Jens Beckert: Ja, und damit geht ein enormer Ressourcenverbrauch einher. Das sehen wir in Indien und China. Die wollen jetzt auch.

Und das hat natürlich verheerende Folgen für das Klima.

Jens Beckert: Genau. Gleichzeitig haben wir kein moralisches Recht, Indien abzusprechen, dass es sich entwickeln darf.

Wir haben keine ökologische Schuldenbremse. Wir konsumieren für mehr als eine Welt.
Autor: David Bresch Physiker

David Bresch: Warum nicht? Eine dekarbonisierte Energielandschaft schafft wahnsinnig viele Jobs. Dann müssen wir uns überlegen, was uns wichtig ist und wie wir miteinander leben wollen. Ich glaube, eine demokratisch verfasste Gesellschaft wie die Schweiz hat die Chance, diese Themen zu verhandeln.

Jens Beckert: Ich bin da eher pessimistisch. Ich halte es für völlig undenkbar, dass sich in der Schweiz oder sonst wo eine Mehrheit findet, die beschliesst: Wir schrumpfen jetzt unsere Ökonomie um 20 Prozent. Das ist Wunschdenken.

David Bresch: Aber wir haben Geld. Daran mangelt es uns nicht. Die Pumpspeicherkraftwerke Nant de Drance und Linth Limmern, die wir kürzlich gebaut haben, sind jetzt schon unglaublich attraktiv. Das ist grüne Energie. Wir brauchen mehr davon. Aber: Wenn man sich anschaut, wie beispielsweise die UNO und ihr Sicherheitsrat von Leuten, die diese Strukturen ablehnen, torpediert werden, finde ich es auch schwierig, den Optimismus zu behalten.

Wie sieht es politisch aus? Wahlen und Abstimmungen finden verhältnismässig in sehr schnellen Abständen statt – das System ist eher auf Kurzfristigkeit ausgelegt.

David Bresch: Schon die Schuldenbremse in der Schweiz aufrechtzuerhalten, ist schwierig. Da spreche ich rein von der monetären Seite. Doch eine ökologische Schuldenbremse haben wir nicht. Wir konsumieren für mehr als eine Welt.

Die Jugend von heute gibt mir Hoffnung.
Autor: Jens Beckert Soziologe

Und was ist mit Katastrophen? Generieren die einen Lerneffekt?

Jens Beckert: Ich würde sagen, das Lernpotential aus Katastrophen für eine Gesellschaft ist sehr begrenzt. Deutschland ist zwar aufgrund des Unfalls in Fukushima aus der Kernkraft ausgestiegen. Weltweit geht der Trend in die entgegengesetzte Richtung.

Also können wir jetzt nach Hause gehen …

Jens Beckert: Nein. Meine Kinder, die Jugend von heute, die noch derart viel Leben vor sich hat, sie geben mir Hoffnung. Sie ernähren sich anders, essen weniger Fleisch, sie machen einen Lebensstil daraus. Das hilft dem Klima.

Das Gespräch führte Yves Bossart.

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SRF 1, Sternstunde Philosophie, 29.9.2024, 11:00 Uhr ; 

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