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Neue Gefahrenkarten Folgen des Klimawandels: Wenn Haus und Hof weichen müssen

In der Schweiz werden Unwetter heftiger, die Schäden grösser. Für Experten ist klar: Der Klimawandel muss bei Gefahrenkarten und Bauprojekten mehr berücksichtigt werden. Besonders betroffen sind die Berggebiete. Gefahrenzonen werden ausgeweitet, Wohnhäuser und Betriebe müssen weichen.

Die Spuren des Unwetters sind immer noch deutlich zu sehen im Maggiatal – auch wenn seither Monate vergangen sind. Landwirtin Giorgia Mattei nimmt uns mit zu ihrem Bauernbetrieb in Piano di Peccia. Der Hof und die Weiden wurden förmlich geflutet von einer Gerölllawine, weil der kleine Bergbach zum reissenden Strom wurde.

Mattei schüttelt den Kopf: «Früher war es hier ganz grün. Jetzt liegt hier viel Geröll auf unseren Weiden.»

Mittlerweile hat der Kanton das Gebiet, indem der Landwirtschaftsbetrieb steht, zur roten Zone erklärt. Die Gebäude müssen abgebrochen und der Betrieb an einem neuen Standort aufgebaut werden. Trotz dieser Hürden gibt Mattei die Hoffnung nicht auf. «Es wird sicher hart für uns, wenn die Gebäude abgerissen werden. Aber wir glauben daran, dass wir an einem anderen Ort neu beginnen können.»

Experten fordern Umdenken

Die Zunahme von schweren Unwettern wie diesen Sommer im Maggiatal, im Misox, in Saas-Grund oder Brienz sind aus Sicht der Experten eine Folge des Klimawandels.

David Bresch, ETH-Professor für Wetter- und Klimarisiken, fordert, dass Bund und Kantone vorausschauender handeln müssten. «Der Klimawandel wird bei der Erstellung von Gefahrenkarten noch zu wenig berücksichtigt. Extremniederschläge nehmen zu, Frequenz und Intensität, das sollte man berücksichtigen, wenn man die Gefahrenkarten überarbeitet».

Luftbild von einem Dorf in den Bergen mit Geröllfeld.
Legende: Aufräumarbeiten in Piano di Peccia (Valle Lavizzara) im oberen Maggiatal (16.9.2024). Schwere Unwetter und sintflutartige Regenfälle hatten im August im Tessin fünf Menschenleben gefordert sowie Strassen und Häuser zerstört. KEYSTONE/Ti-Press/Samuel Golay

Beim Bundesamt für Umwelt Bafu will man diese Kritik so nicht auf sich sitzen lassen. Es würde in Sachen Gefahrenprävention schon viel unternommen.

Gemäss Bafu-Vizedirektor Paul Steffen werde der Klimawandel in Strategiepapieren und Massnahmeplänen bereits berücksichtigt. Die Kantone seien nun an der Umsetzung, einige seien schon weiter als andere. «Es ist eine Herausforderung für uns alle, den Klimawandel und was die Zukunft bringen wird, entsprechend zu berücksichtigen und in der Praxis umzusetzen», so Steffen.

Bergkantone an vorderster Front

Bei Dallenwil wütete 2005 ein Unwetter und überschwemmte ein Industriegebiet. Jahrzehntelang hat der Kanton Nidwalden hier in einem zähen politischen Ringen ein Schutzprojekt geplant. Dieses Jahr soll der Baustart erfolgen. Für über 50 Millionen Franken soll ein riesiger Geschiebesammler entstehen.

Um genügend Platz zu schaffen, musste der Kanton einen Bauernbetrieb umsiedeln. Die Bauernfamilie wohnt nun einige Kilometer entfernt in Buochs. Die Umsiedlung war für sie nicht einfach, wie Landwirt Armin Niederberger erzählt: «Von Anfang an war es ziemlich klar, dass wir entweder mitmachen oder sonst enteignet werden.»

Neue rote Zone im Maggiatal bereits beschlossen

Giorgia Mattei und ihr Bruder Ivan müssen ihren Hof in Piano di Peccia ebenfalls aufgeben. Aber das Wohnhaus, welches 500 Meter weiter oben am Hang liegt, kann stehen bleiben. Möglich ist das nur, weil derzeit ein grosser Schutzdamm oberhalb des Dorfs gebaut wird. In zwei Monaten können die Matteis zurück in ihre Wohnung. Für Ivan Mattei ein wichtiger Schritt: «Der Kanton gibt uns die Chance, im Tal zu bleiben.»

Noch ist offen, an welchem Ort die Matteis ihren Betrieb wieder aufbauen können. Sichere Orte ausserhalb der roten Zonen werden immer rarer an solch exponierten Lagen wie im Maggiatal mit seinen steilen Berghängen.

10vor10, 23.09.2024, 21:50 Uhr

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