Sie sind glücklich. Für einen Moment. Sie sind neu eingekleidet. Sie sind beschenkt. Die Familie mit drei Kindern aus Syrien hat unglaubliche Strapazen hinter sich. Sie sind über die Türkei und die Balkanroute nach München geflohen. Gelobtes Land. Das Familienoberhaupt spricht Englisch: «Do you know Switzerland?» – «Malmö?» Nein, er verwechselt die Schweiz mit Schweden. Der gelernte Geologe will deutsch lernen und bald arbeiten.
Kleider, Registrierung und medizinische Versogung
So sehen sie also aus, die Menschen, die man täglich im Fernsehen und in der Zeitung sieht. Sie stehen vor der Kleiderkammer der Diakonia, einer Einrichtung der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vom Hauptbahnhof sind sie direkt in diese ehemalige Kaserne der Bundeswehr gebracht, registriert und medizinisch versorgt worden.
Die Münchner spenden, was das Zeug hält. In den Lagerräumen stapeln sich die Kisten bis unter die Decke. Vorerst gilt ein Spendenstopp. Berge von Klamotten und Schuhe müssen erst sortiert werden.
Nur die Kleider auf dem Leib
«Salam alaikum» – «Friede mit Euch», begrüsst die ehrenamtliche Helferin Geraldine Brunner die Bedürftigen am Eingang der Kleiderkammer. Der Gruss passt immer, die meisten sind Muslime, denkt sie. Sie sind unsicher. «Die Menschen kommen hier an mit einem Mobiltelefon und den Kleidern, die sie auf dem Leib tragen, mehr nicht», erklärt sie. Im Moment sind es Menschen aus Syrien, Afghanistan, Eritrea, Nigeria und Senegal.
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Es riecht nach Schweiss. Sie haben eine Viertelstunde Zeit, um sich einmal gratis einzukleiden. Heute wird 300 Menschen geholfen. Das Neugeborene der nigerianischen Familie schläft mitten im Trubel auf dem Arm einer Helferin. Es ist vor einer Woche in München zur Welt gekommen. Zukunft ungewiss.
Unvermittelt bricht es aus einer Helferin heraus: «Wir geben den Flüchtlingen ein Kuscheltier und etwas zu Essen. Eine Banane – und dann? Schule? Wohnung? Keiner macht etwas. Es sind zu viele». Geraldine Brunner widerspricht. Sie arbeitet an zwei bis drei Tagen in der Kleiderkammer und unterstützt privat acht Flüchtlinge in der Stadt: «Es geht.»
Nur drei überleben, die anderen ertrinken
Das Schlauchboot kentert. Der Junge aus Afghanistan überlebt mit zwei anderen Insassen. 94 Menschen ertrinken. In München findet er Halt. Nein, er resigniert nicht. Er will etwas aus seinem Leben machen. Er ist ein sogenannter UMF – ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling. Traumatisiert. Schwierige Klientel. Von ihren Familien allein auf die Reise geschickt, um Krieg und Elend zu entkommen. Für eine bessere Zukunft. Andere mussten mit ansehen, wie ihre Eltern getötet wurden.
30 solche Jungs leben in der Meindlstrasse im Münchner Stadtteil Sendling in einem ehemaligen katholischen Pfarrhaus. Zu dritt oder viert in einem Zimmer. Es riecht nach Kantine. Sie pauken drei Stunden täglich deutsch, bekommen therapeutische Hilfe.
«Jugendliche können Fuss fassen»
Zwei Wachleute sind da. «Wir beschützen die Jugendlichen und die Betreuer. Hier ist es ruhig», meint der Bewacher mit Wurzeln im Kosovo. In anderen Erstaufnahmen mit Hundert und mehr Jugendlichen gebe es täglich Schlägereien.
Ulrich Pointner hat sich für dieses Flüchtlingshaus mächtig ins Zeug gelegt. Der Sozialpädagoge ist bei der Katholischen Jugendfürsorge für den Flüchtlingsbereich zuständig. Was normalerweise Monate dauert, hat er in zwei Wochen hingekriegt: verhandeln, möblieren, einziehen. Pointner ist davon überzeugt: «Jugendliche können Fuss fassen, wenn sie begleitet werden.» Eine Herkulesaufgabe steht bevor. Doch erst einmal stemmt München das Oktoberfest. Das sind sechs Millionen Besucher – in zwei Wochen.