Zum Inhalt springen

Hormonfreie Verhütung Die Pille ist passé: Wie Frauen heute verhüten wollen

Die 20-jährige Eva leidet wegen der Pille unter Stimmungsschwankungen und Kopfschmerzen – und setzt sie ab. Sie ist nicht allein: Für immer mehr Frauen kommen Hormone nicht mehr infrage. Was sind die Alternativen? Und wie steht es um die Verantwortungsverteilung bei der Verhütung?

1961 kam die Antibabypille in der Schweiz auf den Markt. Sibylle, 56, nahm in ihrer Jugend die Pille und erinnert sich: «Die Pille wurde damals als Errungenschaft gelabelt.» Die hormonelle Verhütung sei ein Privileg gewesen. Für sie war die Antibabypille in den ersten Jahren eine gute Lösung. Sie sei einfacher in der Anwendung gewesen als ihre Alternativen. Etwa das Schaumzäpfchen, das vor dem penetrativen Sex in die Vagina eingeführt werden musste. «Die Pille gab mir ein Stück Freiheit», so Sibylle. Heute sehen das viele Frauen anders.

Sibylles Tochter Eva, 20, hat einen anderen Blick auf die Pille als ihre Mutter. Sie versteht, dass die Pille damals für ihre Mutter eine gute Lösung war. Für sie steht sie allerdings nicht für Freiheit. Sie findet: «Eine Errungenschaft wäre ein neues Verhütungsmittel für den Mann!» Stand heute gibt es für Männer nämlich nur zwei zuverlässige Verhütungsmethoden.

So verhüten laut einer Erhebung des Bundesamts für Statistik 6.6 Prozent der Bevölkerung durch eine Sterilisation des Mannes, 36.7 Prozent setzen auf das Kondom. Auch Eva und ihr Freund verhüten mit Kondom, da sie mit der Pille schlechte Erfahrungen gemacht hat.

Die Angst vor Nebenwirkungen

Als sie 14 Jahre alt war, kam Eva in eine Beziehung und begann, die Pille zu nehmen. Schnell merkte sie, dass sie die Pille nicht vertrug. Sie litt unter Kopfschmerzen.

Nach einem Jahr liess sie sich von ihrer Frauenärztin beraten und stieg auf eine andere Pille um. Besser ging es ihr damit allerdings nicht. Eva klagte über Stimmungsschwankungen: «Ich habe sehr stark auf Kleinigkeiten reagiert.»

Blisterpackung mit Tabletten in einer durchsichtigen Tasche.
Legende: Hat die Pille ausgedient? Lange Zeit galt sie vielen als unverzichtbares «Accessoire». Heute wird sie zum Teil regelrecht verteufelt. Getty Images / Carol Yepes

Je nachdem, wie die Pille zusammengesetzt ist, kann sie depressive Verstimmungen verursachen. Laut einer dänischen Studie aus dem Jahr 2016 wurde vor allem bei Jugendlichen ein Zusammenhang zwischen hormonellen Verhütungsmitteln und der Verschreibung von Antidepressiva festgestellt.

Keine Lust mehr auf Hormone

Die Liste der Nebenwirkungen der Pille ist lang: Gewichtszunahme, Blasenentzündungen, Pilzinfektionen oder weniger Lust auf Sex. Die Pille kann aber auch positive Nebeneffekte haben. Zum Beispiel kann sie Menstruationsschmerzen lindern oder zu reinerer Haut führen. Eva sagt: Im Nachhinein sei es schwer zu sagen, welchen Teil die Pille zu ihrem Gemütszustand beigetragen habe und welche Rolle das Ende ihrer Beziehung spielte. Trotzdem will sie nicht zur Pille zurück.

«Ich bin momentan abgeschreckt von hormoneller Verhütung», sagt Eva. Für sie ist es nicht vorstellbar, wieder mit Hormonen zu verhüten. Mit dieser Haltung ist sie nicht allein: Die Zahl der Frauen, die mit der Pille verhüten, geht seit Jahrzehnten zurück.

In den 1990er-Jahren verhüteten laut Bundesamt für Statistik noch mehr als die Hälfte der Frauen mit der Pille. 2022 sind es nur noch 16 Prozent. Sexologin Julia Leutenegger weiss um diesen Trend. Sie leitet eine Beratungsstelle für Jugendliche und kennt die Sorgen der jungen Frauen.

«Viele wollen etwas Hormonfreies», sagt sie. Die jungen Frauen haben zum Teil von negativen Erfahrungen aus ihrem Umfeld gehört oder auf den sozialen Medien einen Inhalt gesehen, der sie verunsichere. Doch Julia Leutenegger kann die Verunsicherung der Pille gegenüber nachvollziehen: «Das ist ja auch ein Medikament und kein Sugus.» Die jungen Frauen hätten oft Angst vor Nebenwirkungen wie Stimmungsschwankungen oder Gewichtszunahme. Daran sei aber nicht immer die Pille schuld.

Am Ende weiss man nur, ob die Pille für einen funktioniert, wenn man sie ausprobiert.
Autor: Julia Leutenegger Sexologin

Frauen würden statistisch gesehen noch bis zum 20. Lebensjahr an Gewicht zunehmen, unabhängig von der Pille, so Leutenegger. «Am Ende weiss man nur, ob die Pille für einen funktioniert, wenn man sie ausprobiert.» Man dürfe auch nicht vergessen, dass die Pille nach wie vor sehr gut vor einer ungewollten Schwangerschaft schütze.

Sicherheit von Verhütungsmethoden im Vergleich

Box aufklappen Box zuklappen
Verschiedene Verhütungsmittel auf schwarzem Hintergrund.
Legende: depositphotos/imagepointfr

Die Sicherheit der verschiedenen Verhütungsmethoden wird im Pearl-Index ausgedrückt. Der Index gibt an, wie viele von 100 Frauen trotz einer bestimmten Verhütungsmethode in einem Jahr schwanger werden. Je tiefer die Zahl, umso sicherer die Methode.

  • Sterilisation des Mannes (Vasektomie): 0.1
  • Sterilisation der Frau: 0.1
  • Hormonspirale: 0.1–0.3
  • Hormonpräparate wie die Antibabypille: 0.5–0.9
  • Kupferspirale: 0.6
  • Temperaturcomputer: 0.7
  • Symptothermale Methode: 1.8
  • Kondom: 3

Quelle: Gesundheistdossier mediX, 2023

Julia Leutenegger hört den jungen Frauen in ihrer Beratung zu und versucht zu verstehen, woher ihre Sorgen kommen. Junge Männer hingegen kämen nur sehr selten zu ihr in die Sprechstunde.

Die Rolle der Männer

Früher ging Julia Leutenegger auch an Schulen, um dort mit den Jugendlichen über die Verantwortung beim Verhüten und über ungewollte Elternschaft zu sprechen. Dabei habe sie unter anderem über die Gesetzeslage in der Schweiz zum Thema Schwangerschaftsabbruch geredet. «Einige Jungs waren erstaunt darüber, dass sie nicht über einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden können.» Doch wie denken junge Männer über die Verantwortung beim Verhüten?

«Aus Männersicht ist es sicher einfacher, wenn die Frau die Pille nimmt», sagt Janis (Name geändert) bei einer Strassenumfrage, «aber für die Frau wäre es sicher auch cool, wenn es etwas Abwechslung geben würde und auch mal der Mann verhüten würde». Der 20-Jährige verhütet mit Kondom. Wie die Anwendung funktioniert, habe er in der Schule gelernt. «Momentan ist alles klar und sonst würde ich mich mit Freunden austauschen oder im Internet recherchieren.»

Die Pille für den Mann – eine unendliche Geschichte?

Box aufklappen Box zuklappen
Mann mit Schnurrbart und Nasenring berührt seine Lippe.
Legende: Die Anzahl der Unterfangen zur Entwicklung der «Pille für den Mann» ist lang. Ob das jemals etwas wird? Getty Images / Catherine Falls Commercial

Bereits in den 1950er-Jahren wurde an einer hormonfreien Pille für den Mann geforscht. Das getestete Präparat vertrug sich jedoch nicht mit Alkohol – die Studien wurden eingestellt. Und auch in den 1980er- und 1990er-Jahren kündigten die Boulevardmedien die Pille für den Mann gross an. «Das wurde quasi zum Running Gag», sagte Franka Frei, Autorin des Buches «Überfällig: Warum Verhütung auch Männersache ist» 2023 gegenüber SRF.

Derzeit ist die Forschung an der Pille für den Mann wieder einmal ins Stocken geraten. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Bis 2011 wurde intensiv an der Zulassung für eine Antibabyspritze für Männer geforscht. Die Forschung wurde abgebrochen, weil die Spritze nur in 90 Prozent der Fälle vor einer Schwangerschaft schützte – und wegen schwerer Nebenwirkungen wie Akne, Gewichtszunahme und Depressionen. Auch an anderen Verhütungsmethoden für Männer wurde geforscht. An einem Verhütungsgel etwa. Oder am Samenleiterventil – einer Art Kippschalter-Implantat. Bislang wurde es jedoch nur selten eingesetzt – klinische Studien fehlen.

Auch Vuc, 22, verhütet mit Kondom. Für ihn sei das Wichtigste, sich keine Geschlechtskrankheiten einzufangen. Ein Kind, ob geplant oder ungeplant, sei immer etwas Gutes. «Ob die Frau eine Pille nehmen will, ist ihre Entscheidung.»

Mehr Selbstbestimmung ohne Pille?

Fabienne ist Mitte 20, verheiratet und nahm die Pille. «Das war für mich und unsere Beziehung einfach.» Doch diese Einfachheit hat einen Preis: Fabienne hatte wegen der Pille keine Lust auf Sex. Damit ist sie nicht allein.

Laut einer Untersuchung aus den USA aus dem Jahr 2013, die mehrere Studien zu Libido und der Antibabypille zusammenfasst, berichten rund 15 Prozent der Frauen, dass sie seit dem Einnehmen der Pille weniger Lust auf Sex haben. Es gibt aber auch den umgekehrten Effekt: eine erhöhte Libido. Das berichten 22 Prozent der Frauen.

Fabienne sagt, sie habe das Thema Verhütung auf die leichte Schulter genommen. Sie begann, sich mit der Pille und ihrer Libido auseinanderzusetzen.

Frau in weisser Bluse im Raum, zwei Personen im Hintergrund.
Legende: Fabienne hatte durch die Pille mit einer verringerten Libido zu kämpfen – und wechselte zur Temperatur-Methode. SRF

«Es geht hier eigentlich in erster Linie um mich und um meinen Körper. Und dann um den Sex in der Beziehung», so Fabiennes Erkenntnis. «Als ich die Pille nahm und keine Lust hatte, war Nein sagen viel schwieriger, als jetzt, wenn ich weiss, dass ich fruchtbar bin.» Vor allem, weil sie noch keine Kinder wolle.

Als sie die Pille genommen habe, sei es ihr schwergefallen, auch mal Nein zu Sex zu sagen. «Ich hatte ständig ein Verhütungsmittel in mir drin, das heisst, wir konnten eigentlich ständig Sex haben.»

Also setzt sie die Pille ab und wechselt auf die Temperaturmessung als Verhütungsmethode, die im Vergleich zur Pille unsicherer ist. Aber: Ihre Libido kehrt zurück. Und noch etwas ändert sich.

«Die Frau sagt dann, wo es langgeht», so Fabienne. An fruchtbaren Tagen würden ihr Mann und sie gemeinsam darüber reden, ob sie Sex haben. Die Verantwortung der Verhütung verschiebt sich auf beide Personen. Das ist nicht bei allen Paaren so.

Die Frage der Verantwortung

Ein Bericht des deutschen Bundesinstituts für öffentliche Gesundheit aus dem Jahr 2021 zeigt: Wenn Jugendliche ihre ersten sexuellen Erfahrungen machen, sehen sich Männer und Frauen in der Verantwortung beim Verhüten. Es sind bei beiden Geschlechtern rund 20 Prozent. Doch diese Verantwortung verschiebt sich mit einer bestimmten Anzahl sexueller Erfahrungen.

Ab durchschnittlich 50-mal Sex fühlen sich 46 Prozent der Frauen für die Verhütung verantwortlich. Bei den Männern sind es noch sieben Prozent. Der Grund laut der Studie: Mit dem Beginn einer Beziehung wechseln viele heterosexuelle Paare auf die Pille als Verhütungsmethode, die Verantwortung verschiebt sich dadurch zu den Frauen.

Und auch Julia Leutenegger, die beruflich Jugendliche rund ums Thema Verhütung berät, beobachtet Ähnliches. Junge Frauen kommen selten in Begleitung ihrer Freunde in die Beratung und öfters mit ihren Müttern. Sie schlussfolgert: «Die Verantwortung beim Verhüten tragen wohl nach wie vor die Frauen.»

Namensnennung

Box aufklappen Box zuklappen

Auf Wunsch verzichten wir bei den befragten Privatpersonen auf die Nennung des Nachnamens.

Wie geht hormonfreie Verhütung?

Box aufklappen Box zuklappen

Die gängigsten hormonfreien Verhütungsmethoden sind:

  • Die Kupferspirale: Das T-förmige Implantat wird von medizinischen Fachpersonen direkt in die Gebärmutter eingesetzt. Pearl-Index: 0.6
  • Natürliche Familienplanung (NFP) oder Symptothermale Methode: Diese Methode kombiniert die Beobachtung von Körperzeichen wie Basaltemperatur und Zervixschleim, um fruchtbare Tage zu bestimmen. Pearl-Index: 1.8
  • Das Diaphragma: Eine flexible Kappe, die vor dem Geschlechtsverkehr über den Gebärmutterhals gelegt wird, um Spermien am Eindringen zu hindern. Pearl-Index: 6
  • Die Kalendermethode, etwa mit Zyklus-Apps: Analog oder digital erfassen die Frauen ihre Zyklusdaten und berechnen oder schätzen ab, wann ihre fruchtbaren Tage sind. Pearl-Index: 9
  • Temperaturcomputer: Eigens für Familienplanung und Verhütung konzipierte Zykluscomputer überwachen anhand von Temperaturmessungen und anderen Daten den Zyklus und zeigen fruchtbare Tage an. Pearl-Index: 0.7
  • Für alle Methoden, die die fruchtbaren Tage bestimmen, gilt: Ist eine Schwangerschaft unerwünscht, verzichten Paare an fruchtbaren Tagen auf Sex oder verwenden Kondome.

Radio SRF 1, Rendez-vous, 14.4.2025, 12:30 Uhr; sten

Meistgelesene Artikel