Die Kundschaft wandelt sich, das Klima auch. Nur das Bild vom idyllischen Bauernhof scheint stehen geblieben zu sein. Dabei sind Innovationen in der Landwirtschaft überlebenswichtig.
Wenn man jedoch genau hinsieht, erkennt man, was auf den Höfen aktuell (heran-)wächst. Drei Beispiele, wie Schweizer Landwirtinnen und Landwirte den eigenen Betrieb umpflügen, um mit der Zeit zu gehen.
Shrimp aus dem Schweinestall
Irene und Fritz Kunz sitzen für das Interview im ehemaligen Melkraum, der heute ihre Küche ist. Ihr Hof steht in einem Wohngebiet und liegt direkt an einer Strasse in der Gemeinde Kirchberg BE. Um das Vieh auf die Weide zu bringen, erzählt Fritz Kunz, mussten sie immer über den Vorplatz und die Strasse. Hinterher war alles schmutzig, «musste gewischt werden, damit besonders am Samstag, am umsatzstärksten Tag im Hofladen, alles wieder schön sauber ist».
Um die kleine Schweinezucht rentabel zu betreiben, wäre ein Ausbau unumgänglich gewesen. Nach Abklärungen mit den Nachbarn war klar, dass dies unmöglich zu realisieren war. Deshalb suchten sie über Jahre nach möglichen Alternativen am gleichen Standort und in den bestehenden Gebäuden.
Auf einem Aquakulturen-Kongress in den USA entdeckten sie Bauern, die in ihren alten Schweineställen eine Shrimpaufzucht betrieben. Die Idee gefiel ihnen, also erwarben sie für ihren Hof eine Lizenz. Sie investierten Zeit und auch einiges an Geld. Und sie blieben beharrlich.
Der Schweinestall wurde abgesenkt, neu abgestützt, isoliert, abgedunkelt und mit einer künstlichen Beleuchtung versehen. Das Wasser wird mithilfe einer Solaranlage beheizt, im Winter mit der bestehenden Holzschnitzelheizung. «Zu Beginn hatten wir nur diese Schwimmbecken aus Plastik, wie sie in Gärten herumstehen», blickt Fritz Kunz zurück.
«Bewilligungen müssen sein»
«Ich fragte zuerst den Kantonstierarzt, welche Bestimmungen für eine Shrimpaufzucht gelten.» Der habe gesagt: «Keine Ahnung. Frag den Fischereiaufseher.» Der sagte: «Shrimps sind keine Fische. Nicht in meiner Zuständigkeit.»
Der Lebensmittelkontrolleur habe nur gefragt, «ob wir sie auseinandernehmen. Da habe ich gesagt: ‹Nein, wir verkaufen die ganzen Tiere›.» Von ihm bekamen wir die Vorgabe: «Anschreiben mit ‹kühl lagern, innert drei Tagen zu verbrauchen›. Am Anfang wusste niemand Bescheid und das hat gedauert.»
Als alle Bescheinigungen beisammen waren, mussten Lösungen für den Import und Transport der kleinen Larven in die Schweiz gefunden werden, für die Beschaffung des geeigneten Futters und die notwendigen Utensilien (Netze, Messgeräte, Verpackungen etc.). 2015 wurden die ersten Postlarven, damals noch aus den USA, in die Becken eingesetzt. Seit 2020 werden die Jungtiere aus Österreich bezogen und wachsen in Becken «Made in Emmental» auf.
«Die Schweiz importiert pro Jahr 9000 Tonnen Shrimp. Wir produzieren bei Endausbau maximal 2.5 Tonnen», erzählt Fritz Kunz. Ihr Betrieb sei vergleichsweise klein, davon alleine könnte der Hof nicht leben. Erschwerend kommt hinzu: «Wir sind dreimal teurer, als wenn man irgendwo beim Grossverteiler tiefgefrorene Crevetten kauft. Wie verkauft man das den Leuten?», fragt der Landwirt.
«Da müssen wir die Vorteile aufzählen, die Frische, die kurzen Lieferwege ...» Und es hat natürlich seinen Preis, dass Kunz’ Shrimp «100 Prozent ohne Antibiotika gezüchtet sind, ohne Zusatzstoffe. Das sind die Dinge, die wir unserer Kundschaft mitgeben müssen, damit wir unsere Shrimp verkaufen können», sagt Irene Kunz. Einfach ist das nicht.
Diversifizieren statt Eingehen
Bei einer anderen Zucht kamen Investoren auf die Idee, die doppelte Menge Larven in die Becken zu schütten, um mehr Umsatz zu machen. Das Ergebnis? Alle Populationen gingen ein. Totalschaden. «Wenn man mit Tieren zu tun hat, muss man wissen, dass mit Tieren einfach nicht alles geht», sagt Irene Kunz. Mit Investoren will das Ehepaar Kunz deshalb lieber nichts zu tun haben, denn sie haben ihr Leben lang mit Tieren zu tun gehabt und wollen nicht darüber diskutieren, was geht oder nicht. Sie bestimmen lieber selbst, wo es langgeht.
Stattdessen hat ihr Hof mehrere Standbeine: neben Shrimp etwa Ackerbau, Mutterkuh- und Schafhaltung, Obstanbau, Direktvermarktung sowie das Betreiben einer Kompogasanlage. Weil die Kunz wissen, dass man auf einem Bein nicht stehen kann. Neudeutsch würde man sagen: Die kluge Bäuerin und der kluge Bauer diversifizieren. Genau das hatte auch Mirjam Lüthi vor.
Einmal Quinoa und zurück
Mirjam Lüthi-Probst betreibt zusammen mit ihrer Familie den Aarhof in Bellach SO. Daneben arbeitet sie in Teilzeit auf der Geschäftsstelle von IP SUISSE, der Vereinigung von integriert produzierenden Bäuerinnen und Bauern . 2015 erreichte sie eine Anfrage: «Habt ihr auch Quinoa? Man könnte ein Quinoa-Brot produzieren. Das wäre doch spannend. Und wir haben gesagt. Nein, das gibt es noch nicht. Aber wenn das nachgefragt wird, können wir das versuchen.»
Mirjam Lüthi stellte kurzerhand ihre Fruchtfolge um, baute Quinoa an und leistete damit viel Pionierarbeit: Welches Saatgut ist das Richtige? Die Suche führte nach Österreich, Frankreich, Niederlanden. Wie reinigt man die geerntete Ware? Was macht man gegen das Unkraut? Welche Mittel darf man zur Unkrautvernichtung verwenden? Zum Schluss standen Mirjam Lüthi und ihre Familie alleine auf dem Acker und jäteten von Hand, um ansatzweise wettbewerbsfähig zu sein. Zusätzliche Arbeitskräfte hätten ihre Produktionskosten noch weiter in die Höhe getrieben.
Quinoa, etwa aus Südamerika, kostet deutlich weniger. Schlussendlich hat Lüthi das Quinoa vorübergehend aufgegeben, da es kein Saatgut mehr gab. Zudem wird in der Schweiz produziertes Quinoa nicht durch Einfuhrzölle unterstützt. Und Hand auf Herz: Was nimmt man dann aus dem Regal – das Schweizerische oder das Ausländische, das deutlich billiger ist?
Ganze Wertschöpfungskette benötigt
«Ins Regal der Grossverteiler haben wir es längerfristig sowieso nicht geschafft», sagt Mirjam Lüthi. Sie verkaufte über ihren Hofladen. Da sei die Kundschaft auch bereitwilliger, den angemessenen Preis zu zahlen.
Lüthi wartet auf den Gesetzgeber in der Hoffnung, dass sich künftig etwas tut. Sie hat auf Eiweisserbsen für die menschliche Ernährung und Soja umgestellt. Doch auch beim Soja hakt es. Das wird als Viehfutter verwendet, da es in der Schweiz keine durchgehende Kette gibt, um daraus Tofu für den menschlichen Verzehr herzustellen.
Heute weiss Lüthi: Mit Innovation alleine kommt man nicht weiter. Man braucht im besten Fall die ganze Wertschöpfungskette, sonst sind neue Probleme vorprogrammiert.
Richtiger Schweizer Käse – aber vegan
Die Wertschöpfungskette, die sich Mirjam Lüthi wünscht, steht New Roots zur Verfügung. Von der Produktion der Rohstoffe bis zur Herstellung und Vermarktung ihrer Produkte hat New Roots die gesamte Herstellungs- und Wertschöpfungskette in einer Hand. New Roots ist eine «vegane Molkerei» in Oberdiessbach BE.
Hier werden aber keine Kühe gemolken, denn die Milchwirtschaft findet Freddy Hunziker insgesamt problematisch. Das beginnt mit ethischen Gesichtspunkten: Tiere hätten andere Pläne, als ihre Milch an Menschen abzugeben oder geschlachtet zu werden.
Abgesehen vom Ethischen sei es ökologisch problematisch, wenn das Gros der Schweizer Ackerfläche zur Futtermittelproduktion gebraucht und zudem noch mehr als eine Million Tonnen Futter importiert werde – eine grosse Umweltbelastung. «Es ergibt auch wenig Sinn, Proteine über den Umweg über ein Tier zu uns zu nehmen.»
Der CO₂-Ausstoss, der Wasserverbrauch und die ganzen Nitratwerte im Wasser seien ebenfalls problematisch: «Wohin mit so viel Gülle?» Hinzu komme der gesundheitliche Aspekt: «Cholesterol, gesättigte Fettsäuren und Laktose sind eigentlich alles Produkte, die nicht für unseren Organismus gemacht sind, die wir aber in sehr grossen Mengen verzehren.»
Veganer Schweizer Käse
All das will New Roots nicht mehr, sondern «vegane Milcherzeugnisse» wie Schweizer Käse herstellen: Richtigen Schweizer Käse, der nicht wie ein Ersatzprodukt schmeckt. Kurz: Sie wollen die kritischen Aspekte der Milchwirtschaft nicht mehr, sondern nur noch die positiven oder wie Freddy Hunziker sagt, «die Traditionen von morgen schaffen ohne die Nachteile von gestern»: Schweizer Käse, von Schweizer Produzenten, mit Schweizer Rohstoffen vor Ort produziert, ohne Kühe.
«Gemolken» wurden bis vor Kurzem noch Cashewkerne, reich an Protein und Fett. Neu werden «Blumen gemolken wie Lupinen» und damit wird eine Milch produziert, «die man eins zu eins in einem traditionellen Verfahren zu einem Käse fertigen kann». Wie bis anhin wird «die vegane Milch an eine Milchstation angeliefert, pasteurisiert, gekühlt, dann kommt das Dicklegen mit einem Enzym, Pressen, schliesslich das Salzen und Einlagern.»
Der schmecke dann wie Schweizer Käse aus Milch. Der grosse Unterschied: Die Nachteile der Milchwirtschaft entfallen und die Produktion ist effizienter, umweltschonender, leichter bekömmlich. Tradition – nur in vegan. Ein disruptiver Ansatz für die Ernährung von morgen.
Ein Giesskannenprinzip gibt es nicht
Was man von Landwirtinnen und Landwirten lernen kann, ist, dass es die «eine» Lösung für alle Probleme nicht gibt. Landwirtschaftliche Produktion hat mit Lebewesen zu tun, mit der Umwelt, mit dem Markt. Das ist schwer kalkulierbar, alle Faktoren sind ständig in Bewegung. Je nachdem, was man produziert, wird das nie ein ruhiger Job werden. Er geht 365 Tage im Jahr. Jedes Jahr.