Für viele Schulleitende endet ein heisser Sommer mit schlaflosen Nächten. Es fehlt an Lehrpersonen – wie fast jedes Jahr.
In diesem speziellen Jahr der allgemeinen Engpässe hat sich der Notstand an den Schulen aber noch einmal zugespitzt. So stehen in diesen Tagen des Schulbeginns sogar ungelernte Quereinsteigerinnen vor Schülern, Klassen werden vergrössert.
Aus dem Abseits blicke ich etwas beschämt auf das Geschehen. Denn ich bin mitschuldig am Fachkräftemangel. Ganze zwei Jahre lang hatte ich nach meiner Ausbildung einige Fächer an einer Stadtluzerner Schule unterrichtet. Aber seit bald 20 Jahren habe ich kein Klassenzimmer mehr betreten.
Das berufliche Back-up bleibt unangetastet
Neben den vielen rettenden Quereinsteigern, von denen man derzeit liest, bin ich einer der Queraussteiger. In diesem Sommer des akuten Lehrermangels könnte ich meine Lizenz zum Unterrichten zu gutem Geld machen.
Der Kanton Luzern hat einst hoffnungsvoll Steuergeld in meine Reifung zum Primarlehrer investiert. Er hat mir wertvolle Erfahrungen und Begegnungen ermöglicht, die ich jetzt woanders einsetze.
Die Sicherheit, jederzeit Stellvertretungen zu absolvieren und zeitlebens in diesen gefragten Beruf zurückkehren zu können, möchte ich nicht missen. In Anspruch genommen habe ich das berufliche Back-up indes noch nie.
Lehrerausbildung wider Willen
Warum liess ich mich damals zum Primarlehrer ausbilden, um danach den Beruf links liegenzulassen? Weil es mir so einfach gemacht wurde.
Es war 1997, als ich nach der Sekundarschule vor der grossen Frage stand: was jetzt? Mein damaliger Klassenlehrer schlug mir das Lehrerinnen- und Lehrerseminar vor. Dabei wollte ich nicht Primarlehrer werden.
Ich bemerkte den Konstruktionsfehler schnell: Mangelndes pädagogisches Interesse war kein triftiger Grund, auf die fünfjährige Primarlehrer-Ausbildung zu verzichten. Sie ebnete mir den Weg für das spätere Studium und gab mir viel wertvolles Wissen mit auf den Weg.
Etliche genossen so eine Lehrerausbildung, hatten danach die Matura in der Tasche und die Absicherung eines krisensicheren Berufs als Bonus obendrauf.
Zu viele springen ab
Kaum jemand aus meiner damaligen Klasse arbeitet heute noch als Primarlehrerin: Sie unterrichten jetzt Jugendliche, sind im Sozialbereich tätig oder woanders gelandet. Sie sind in guter Gesellschaft: Ein Fünftel der jungen Lehrpersonen gibt in den ersten Jahren wieder auf.
Der Konstruktionsfehler in der Ausbildung ist inzwischen behoben. Das «Semi» hat 2007 den Pädagogischen Hochschulen Platz gemacht. Und die verzeichnen Rekordanmeldungen. Trotzdem springen zu viele ab – oder steigen wie ich gar nicht erst in den Beruf ein.
Was hätte meine Meinung geändert?
Ein strengeres Assessment, wie es immer wieder gefordert wird, hätte bei mir Wirkung gezeigt: Ich wäre früher aussortiert worden und hätte den Weg in den Journalismus wohl ohne pädagogischen Umweg gefunden.
Aber was hätte mich zum Bleiben im Lehrerberuf bewegen können? Grundsätzlich liegen mir die Vermittlung von Wissen, das Begleiten von Kindern und das Spiel mit der Neugierde recht nahe.
Der Beruf hat ein Imageproblem
Liegt das Problem im Durcheinander von Anstellungsbedingungen und Lohngefälle zwischen den Kantonen? Vielleicht. Eine Harmonisierung ist sinnvoll, wäre aber für mich nicht ausschlaggebend gewesen.
Ist es das schwindende Ansehen des Berufs? Wohl schon eher. Denn was hört man aus Schulhäusern, von Bildungspolitikerinnen und Lehrern? Es sind Geschichten von Stress, Spardruck, Reformen, Bürokratie und renitenten Eltern.
Mittendrin ist die Lehrperson, die es niemandem recht machen kann und zu oft allein gelassen wird. Ein einendes, optimistisches und in die Zukunft gerichtetes Berufsbild geht in dieser Stimmung unter.
Lehrerin ist man auch nach Schulschluss
Ich bin überzeugt, dass in den meisten Klassenzimmern fähige und motivierte Lehrpersonen vor Kindern stehen, deren Eltern dankbar sind. Aber ein positiveres Bild des Berufs und mehr Wertschätzung hätten einen wie mich vielleicht dazu animiert, zumindest über eine Rückkehr nachzudenken.
Lehrerin und Lehrer ist man auch nach Schulschluss, in den Ferien und wenn man Eltern an der Migros-Kasse trifft. Dieser Realität entkommt man nicht, so wie ich auch in der Freizeit Journalist bin und mein Ideenradar stets auf Empfang ist.
Besserwisserei, Neid und Kritik
Ich finde, Lehrpersonen dürfen eine vorbehaltlose Unterstützung und eine bessere Anerkennung ihres harten Berufs erwarten – von der Politik, von Schulleitungen und den Eltern.
Stattdessen dominieren Besserwisserei, Neid und Kritik die Debatte. Zudem werden höhere Pensen gefordert, um dem Mangel entgegenzutreten. Doch reduzieren viele ihr Pensum nicht gerade darum, weil der Druck schlicht zu gross wird?
Angenommen, nach meinen fünf Jahren am «Semi» hätte eine ansteckende bildungspolitische Aufbruchsstimmung geherrscht … Vielleicht hätte meine Berufslaufbahn anders ausgesehen. Und ich hätte diesen Text nicht schreiben müssen.