Benjamin ist jüdisch und studiert an der Zürcher ETH. Er engagiert sich in verschiedenen studentischen Vereinen und sagt: «In Zürich und auch in Basel oder Bern, wo ich meine Kollegen gefragt habe, ist zum Glück noch nie jemand handgreiflich angegriffen worden.» Er fühle sich grundsätzlich sicher an der Hochschule.
Auf Nachfrage bestätigen alle grossen Deutschschweizer Hochschulen, dass es bislang keine tätlichen Zwischenfälle gegeben habe. In der Schweiz ist die Situation also anders als etwa in den USA, Frankreich oder in Deutschland. Dort wurde kürzlich ein jüdischer Student von einem propalästinensischen Mitstudenten zusammengeschlagen.
Sorgen bestimmen den Alltag
Die jüngste Messerattacke auf einen jüdisch orthodoxen Mann in Zürich empfindet Benjamin als Zäsur. Sie verstärke das Gefühl der Unsicherheit und Vorsicht.
Die Unis in Zürich bleiben ein Ort der Bildung und des Lernens, nicht der Politik.
Doch in Sorge waren er und seine jüdischen Mitstudierenden schon kurz nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober vergangenen Jahres: «Wir waren alle noch schockiert, als wir Plakate an der ETH gefunden haben, die mit dem Slogan ‹Intifada bis zum Sieg› zur Demo aufriefen. Waffensymbole waren prominent platziert.» Der Begriff Intifada bezieht sich auf den gewaltsamen Widerstand von Palästinenserinnen und Palästinensern gegen Israel.
Uni als Safe Space
Zur Demo an der ETH kam es nicht: Benjamin meldete sich beim Sicherheitsdienst und dem Rektor. Dieser liess die Flyer entsorgen und die Demo verbieten. Die jüdischen Studierenden fühlten sich ernst genommen. Ebenso letzte Woche, als es an der Universität Zürich zu einem ähnlichen Vorfall kam.
«Die Unis in Zürich haben es bis jetzt sehr gut gemacht», findet Benjamin, «sie bleiben ein Ort der Bildung und des Lernens, nicht der Politik.» Er hofft, dass die Leitungen weiterhin dafür sorgen, «dass die Situation nicht eskaliert und das Uni-Leben vergiftet wird.»
Brandherd Hochschule?
Alfred Bodenheimer ist Professor für Jüdische Studien in Basel: «Ich sehe keinen strukturellen Antisemitismus, Schweizer Hochschulen sind nach wie vor für alle offen.»
Er stelle aber fest, dass es offenbar schon länger antisemitische Tendenzen gab, die jetzt hochkochen würden. Etwa bei den sogenannten Urban Studies in Basel, die Zionismus auf dieselbe Stufe stellten wie Sexismus oder Rassismus.
Mittlerweile fühlen sich nicht mehr alle Menschen – unabhängig von ihrer Religion oder Überzeugung – an der Universität sicher.
Ein entsprechender Leitfaden des Fachbereichs wurde unterdessen entfernt und angepasst. Bodenheimer bezieht sich aber auch auf die Ereignisse rund um das Nahostinstitut an der Uni Bern, das mittlerweile geschlossen wurde. Ein Dozent hatte in Posts die Hamas verherrlicht.
Sichtbarkeit für jüdische Stimmen
Der Judaistikprofessor warnt vor solchen Tendenzen: «Früher wäre das ein unbegründeter Alarmismus gewesen, doch mittlerweile ist es so, dass sich nicht mehr alle Menschen – unabhängig von ihrer Religion oder Überzeugung – an der Universität sicher fühlen. Da ist etwas ins Wanken gekommen.»
Er beobachtet, dass gewisse Studierende oder Dozierende nicht mehr offen über ihre jüdische Identität sprechen oder diese offen zeigen würden. Das sei bedenklich.
Aufgrund der allgemein angespannten Lage haben sich jüdische Dozierende aus allen deutschsprachigen Ländern zu einem Netzwerk zusammengeschlossen, das langfristig dazu beitragen will, dass jüdische Stimmen an Hochschulen stärker repräsentiert werden.