Mitten in der Stadt Zürich, gesprayt auf eine weisse Wand: «Tot den Juden». Oder: Ein Mann mit Davidstern-Kette wird von zwei Jugendlichen angegangen, sie spucken ihm auf die Füsse und rufen «Free Palestine».
Das sind nur zwei von 41 registrierten antisemitischen Vorfällen seit dem 7. Oktober in der Deutschschweiz. Das sind weit mehr als die Hälfte der Fälle, die sich im ganzen letzten Jahr ereignet haben. Gesammelt hat die Vorfälle der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG). In der Romandie wurden weitere 40 gemeldet. Dazu kommen Hunderte von Beschimpfungen und Drohungen im Netz. Seit dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel und den darauffolgenden Luftangriffen Israels nimmt der Hass auf die Juden markant zu.
«Wir werden euch jagen und töten»
Erschreckend seien vier tätliche Angriffe: «Solche haben wir sonst fast nie.» Ein weiteres Beispiel: Beim Bahnhof Zürich Flughafen seien zwei jüdische Männer auf dem Weg zum Zug mit Faustschlägen angegriffen worden.
Dazu kommen Beschimpfungen, Schmierereien und Graffitis, Plakate an Demonstrationen oder Drohbriefe und Drohmails. Ralph Lewin zeigt der Rundschau Schreiben an jüdische Gemeinden. «Ich freue mich über die Sonderbehandlung der Juden durch die Hamas, eine wunderschöne Aktion. Ich hoffe, es gibt noch mehr», steht dort. In einer anderen Mail: «Wir werden euch jagen und alle töten.» Ralph Lewin warnt: «Das ist erschreckend und das müssen wir ernst nehmen.»
Kritik an Demo-Plakaten
Zu reden geben auch Transparente und Schilder, die an pro-palästinensischen Demonstrationen in der Schweiz gezeigt werden.
Etwa dieses: «From the river to the sea, Palestine will be free.» Also, dass Palästina vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer frei sein wird. «Das ist eine antisemitische Aussage, weil es gegen das Existenzrecht von Israel gerichtet ist», sagt SIG-Präsident Lewin.
Es gibt allerdings Stimmen, vereinzelt auch jüdische, die die Aussage nicht als antisemitisch betrachten.
«Natürlich gibt es wütende Leute»
Weil viele Unterstützer der Hamas muslimischen Glaubens sind, geraten auch Muslime in der Schweiz unter Antisemitismusverdacht. Die Rundschau wollte darüber mit Imamen reden, doch die meisten angefragten wollten sich nicht vor der Kamera äussern.
Imam Kaser Alasaad, gebürtiger Syrer, Imam in Volketswil (ZH), distanziert sich klar von jeglichem Antisemitismus und vom Terror der Hamas: «Natürlich bin ich gegen das. Ich versuche hier in der Moschee die Politik rauszuhalten». Aber es kämen schon Gläubige zu ihm, die sehr wütend oder sehr traurig seien.
Verunsicherung und Angst
In der Schweiz herrscht in der jüdischen Gemeinschaft Verunsicherung bis Angst. Die Rundschau besucht eine jüdische Familie mit Kindern. «Man gibt plötzlich den Juden die Schuld, man wünscht ihnen den Tod», sagt Familienvater Igor. «Das trägt zu diesem Gefühl der Angst bei, das wir seit dem 7. Oktober haben.»
Seine Frau Lisa verdeckt in der Öffentlichkeit ihre Kette mit dem Davidstern unter den Kleidern. «Ich schaue immer, dass sie nicht aus Versehen herausrutscht», sagt sie. «Vielleicht werde ich nicht gerade zusammengeschlagen. Aber ich habe wirklich Angst, dass ich angepöbelt werde oder mich dafür rechtfertigen muss, wer ich bin.»