«Französisch ist eine Sprache von Welt», sagt die Französisch-Dozentin Isabelle Chariatte von der Universität Basel. «Es öffnet die Türen zu anderen Kulturen. Die grösste frankophone Stadt ist Kinshasa – nicht Paris.»
Auch die Schweiz ist frankophon: Für mehr als einen Fünftel der Bevölkerung ist Französisch die erste Sprache. Über zwei Millionen Menschen hierzulande reden hauptsächlich Französisch. Das restliche Land hingegen hat Mühe mit der Sprache von Voltaire, Proust oder Saint-Exupéry, vor allem Deutschschweizerinnen und -schweizer tun sich schwer. Warum ist das so?
Kinder mögen die Sprache – aber nicht das Fach
Isabelle Chariatte hat am Gymnasium Liestal, wo sie ebenfalls unterrichtet, ihre Klassen befragt: Mögen sie Französisch? Das Ergebnis hat die Lehrerin völlig überrascht: «80 Prozent meiner Schülerinnen und Schüler finden Französisch eine schöne Sprache.»
Sie finden die französische Kultur interessant, hören französische Musik, kennen französische Serien. Kurz: «Sie haben eigentlich einen positiven Bezug zu Französisch und zur französischen Kultur – aber nicht zum Fach.»
Uncoole Grammatik
Dass das Schulfach Französisch unbeliebt ist, beschäftigt Isabelle Chariatte. Das Problem sei vielschichtig, analysiert sie. Ein Aspekt: Französisch ist ganz anders als Deutsch. «Die Struktur, die Grammatik, die Regeln, die Wörter – alles ist sehr verschieden.» Man könne nicht einfach intuitiv Französisch sprechen. «Es ist schwierig und anstrengend. Das ist uncool.»
Die fehlende Coolness ist nur ein Faktor, weshalb Französisch so unbeliebt ist. Dazu kommt, dass die Pop- und Jugendkultur vom Englischen dominiert wird. Über die Musik oder YouTube lernen Jugendliche quasi passiv Englisch.
Anders beim Französischen: «Sie mögen vielleicht französischen Rap, den französischen Lebensstil, aber mit der Sprache sind sie nicht so direkt in Kontakt», sagt Isabelle Chariatte. «Diese passive Immersion, die sie mit dem Englischen haben, haben sie mit dem Französischen nicht.»
Was bringt das Sprachbädchen?
Die grösste Malaise sieht Isabelle Chariatte aber beim Frühfranzösisch, das vor einigen Jahren in praktisch allen Kantonen eingeführt wurde. Durch den frühen Kontakt mit der Sprache sollen schon Drittklässler einem «Sprachbad» ausgesetzt werden. Doch das funktioniere nicht.
«Drei Lektionen Französisch sind kein Sprachbad, das sind ein paar Tropfen», so Chariatte. Die Folgen seien fatal: Nach sieben Jahren Französischunterricht an der Primar- und Sekundarschule seien die Sprachkenntnisse vieler Schüler rudimentär.
«Wenn ich zu Beginn des Gymnasiums vor einer Klasse stehe und ganz einfache Sätze sage, versteht mich ein Grossteil nicht.» Sieben Jahre eine Sprache lernen und nichts verstehen, das sei «die grösste Demotivation und Frustration für ein Fach.»
Mehr Austausch über die Sprachgrenze
Die Schule müsse das Lernen von Französisch von Grund auf anders angehen, zum Beispiel mit echten Sprachbädern, schon auf Primarstufe: «Warum nicht Sport, Musik oder Handarbeit auf Französisch unterrichten, und zwar spielerisch, nicht mit einem Lehrmittel, das Kinder und Lehrpersonen überfordert», sagt Isabelle Chariatte.
Auch mit mehr Austausch liesse sich viel erreichen, betont die Dozentin, zumal man dies in einem kleinen Land wie der Schweiz sehr einfach organisieren könne.
Die Schweiz habe so viele Möglichkeiten, sie lägen quasi vor der Haustür – «man muss sie nur packen», findet Isabelle Chariatte. Wenn man sich der Welt zuwenden wolle und sich für die grossen geopolitischen Fragen interessiere, sei Französisch ein Schlüssel.