Zum Inhalt springen
Audio
Kritik am Französischunterricht an Schweizer Schulen
Aus Kultur-Aktualität vom 29.08.2022. Bild: Keystone / GAETAN BALLY
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 45 Sekunden.

Kritik an Schulfranzösisch Trop difficile? Das muss nicht sein

Zu schwierig, zu uncool, zu belastet von Erinnerungen an mühsame Schulstunden: Französisch hat ein schlechtes Image. Das liesse sich ändern.

«Französisch ist eine Sprache von Welt», sagt die Französisch-Dozentin Isabelle Chariatte von der Universität Basel. «Es öffnet die Türen zu anderen Kulturen. Die grösste frankophone Stadt ist Kinshasa – nicht Paris.»

Auch die Schweiz ist frankophon: Für mehr als einen Fünftel der Bevölkerung ist Französisch die erste Sprache. Über zwei Millionen Menschen hierzulande reden hauptsächlich Französisch. Das restliche Land hingegen hat Mühe mit der Sprache von Voltaire, Proust oder Saint-Exupéry, vor allem Deutschschweizerinnen und -schweizer tun sich schwer. Warum ist das so?

Kinder mögen die Sprache – aber nicht das Fach

Isabelle Chariatte hat am Gymnasium Liestal, wo sie ebenfalls unterrichtet, ihre Klassen befragt: Mögen sie Französisch? Das Ergebnis hat die Lehrerin völlig überrascht: «80 Prozent meiner Schülerinnen und Schüler finden Französisch eine schöne Sprache.»

Sie finden die französische Kultur interessant, hören französische Musik, kennen französische Serien. Kurz: «Sie haben eigentlich einen positiven Bezug zu Französisch und zur französischen Kultur – aber nicht zum Fach.»

Filmszene: Mann in Anzug neben einem technischen Gerät.
Legende: Nichts gegen französische Kultur: Serien wie «Lupin» sind auch hierzulande beliebt. Netflix

Uncoole Grammatik

Dass das Schulfach Französisch unbeliebt ist, beschäftigt Isabelle Chariatte. Das Problem sei vielschichtig, analysiert sie. Ein Aspekt: Französisch ist ganz anders als Deutsch. «Die Struktur, die Grammatik, die Regeln, die Wörter – alles ist sehr verschieden.» Man könne nicht einfach intuitiv Französisch sprechen. «Es ist schwierig und anstrengend. Das ist uncool.»

Die fehlende Coolness ist nur ein Faktor, weshalb Französisch so unbeliebt ist. Dazu kommt, dass die Pop- und Jugendkultur vom Englischen dominiert wird. Über die Musik oder YouTube lernen Jugendliche quasi passiv Englisch.

Anders beim Französischen: «Sie mögen vielleicht französischen Rap, den französischen Lebensstil, aber mit der Sprache sind sie nicht so direkt in Kontakt», sagt Isabelle Chariatte. «Diese passive Immersion, die sie mit dem Englischen haben, haben sie mit dem Französischen nicht.»

Was bringt das Sprachbädchen?

Die grösste Malaise sieht Isabelle Chariatte aber beim Frühfranzösisch, das vor einigen Jahren in praktisch allen Kantonen eingeführt wurde. Durch den frühen Kontakt mit der Sprache sollen schon Drittklässler einem «Sprachbad» ausgesetzt werden. Doch das funktioniere nicht.

Umstrittene Lehrmittel

Box aufklappen Box zuklappen

Die meisten Schulen arbeiten auf Primarstufe mit «Mille feuilles» und auf der Sekundarstufe mit «Clin d’Oeil».

Hinter beiden Lehrmitteln steht die Philosophie des Sprachbades: Französisch soll intuitiv wie eine Erstsprache, quasi beiläufig erworben werden. Das Konzept und die Lehrmittel werden seit längerem kritisiert, von Schülerinnen und Eltern wie auch von den Lehrpersonen.

Auch Isabelle Chariatte ist von dieser Art Sprachbad nicht überzeugt: «Eine Fremdsprache muss man mit Struktur und Vokabeln lernen, das geht leider nicht anders», sagt die Dozentin für Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Basel.

«Drei Lektionen Französisch sind kein Sprachbad, das sind ein paar Tropfen», so Chariatte. Die Folgen seien fatal: Nach sieben Jahren Französischunterricht an der Primar- und Sekundarschule seien die Sprachkenntnisse vieler Schüler rudimentär.

«Wenn ich zu Beginn des Gymnasiums vor einer Klasse stehe und ganz einfache Sätze sage, versteht mich ein Grossteil nicht.» Sieben Jahre eine Sprache lernen und nichts verstehen, das sei «die grösste Demotivation und Frustration für ein Fach.»

Mehr Austausch über die Sprachgrenze

Die Schule müsse das Lernen von Französisch von Grund auf anders angehen, zum Beispiel mit echten Sprachbädern, schon auf Primarstufe: «Warum nicht Sport, Musik oder Handarbeit auf Französisch unterrichten, und zwar spielerisch, nicht mit einem Lehrmittel, das Kinder und Lehrpersonen überfordert», sagt Isabelle Chariatte.

Auch mit mehr Austausch liesse sich viel erreichen, betont die Dozentin, zumal man dies in einem kleinen Land wie der Schweiz sehr einfach organisieren könne.

Zweisprachiges Gymnasium in Laufen und Porrentruy

Box aufklappen Box zuklappen

Das Gymnasium Laufen (BL) und das Lycée Cantonal de Porrentruy (JU) führen seit 2012 eine Partnerschaft für gemischtsprachige Klassen. Die Schülerinnen und Schüler, die sich für das Modell entscheiden, besuchen den Unterricht je zwei Jahre in Laufen und Porrentruy und schliessen das Gymnasium dann zweisprachig ab.

Die immersive Matur mit Französisch müsste die Deutschschweizer Bildungspolitik unbedingt fördern, findet Isabelle Chariatte; auch in jenen Kantonen, die von der Romandie weiter entfernt sind als das basellandschaftliche Laufen.

Wie erfolgreich dies sein kann, weiss die Lehrerin aus eigener Erfahrung: «Es ist unglaublich, wie gut Immersiv-Klassen am Ende des Gymnasiums Französisch beherrschen, im Vergleich zu den Regelklassen.»

Die Schweiz habe so viele Möglichkeiten, sie lägen quasi vor der Haustür – «man muss sie nur packen», findet Isabelle Chariatte. Wenn man sich der Welt zuwenden wolle und sich für die grossen geopolitischen Fragen interessiere, sei Französisch ein Schlüssel.

Schwerpunkt «Mehrsprachigkeit in der Schweiz»

Box aufklappen Box zuklappen
violette Illustration: Links sitzt alte Frau, hält Kabel, in der Mitte Mann, rechts eine Frau. Alle halten eine Sprechbüchse.
Legende: SRF

Vier Landessprachen, rund 42 Prozent zweisprachige Haushalte: Mehrsprachigkeit ist in der Schweiz allgegenwärtig – und vom 28. August bis 4. September Thema einer Schwerpunktwoche bei SRF Kultur.

Ausgewählte Highlights aus dem Programm:

Sonntag, 28. August 2022

  • Pratteln, mon amour: Unsere Autorin kam als kleines Kind aus Albanien in die Schweiz. Anfangs verstand sie kein Wort – dann zog sie um (Artikel)
  • Sprachland Schweiz: Wo ein Wille ist, ist auch eine Vielfalt (Artikel)

Montag, 29. August 2022

Dienstag, 30. August 2022

  • Spielfilm «Die Sprache des Herzens»: Ende des 19. Jahrhunderts nimmt sich eine französische Nonne der taubblinden Jugendlichen Marie Heurtin an, die keine Form der Kommunikation kennt. (SRF 1, 00:00 Uhr)
  • Mundartserie: «Die fünfte Landessprache» und ihre Einflüsse auf die deutsche Sprache (Radio SRF 1, 9:40 Uhr): Shaqiri, Xhaka oder Dzemaili

Mittwoch, 31. August 2022

Donnerstag, 1. September 2022

Freitag, 2. September 2022

Sonntag, 4. September 2022

  • «Perspektiven»: Der mythische Ursprung der Vielsprachigkeit – die Sprachverwirrung zu Babel (Radio SRF 2 Kultur, 8:30 Uhr)
  • Dokumentarfilm «Die Frau mit den fünf Elefanten»: Swetlana Geier (1923-2010) gilt als die bedeutendste Übersetzerin von russischer Literatur ins Deutsche. Mit 85 Jahren reiste sie zum ersten Mal seit dem Krieg zurück in ihre Heimat – die Ukraine. (SRF 1, 23:45 Uhr)

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 29.8.2022, 17:20 Uhr.

Meistgelesene Artikel