«Ich war wirklich auf meinem All-Time-Tiefpunkt», erzählt der deutsche Comedian Felix Lobrecht im Podcast «Hotel Matze». Normalerweise könne er mit seinen Panikattacken und der Depression gut umgehen.
Vor gut einem Jahr war es anders: «Es wurde dann das erste Mal körperlich. Ich war andauernd krank und dann habe ich mich in eine Klinik eingewiesen.»
Die Psychiatrie bleibt ein Tabu
Heute reden viele Menschen offen über ihre Panikattacken oder Depressionen – sowohl im Privaten als auch in der Öffentlichkeit. Ein stationärer Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik ist hingegen noch immer ein grosses Tabu.
Das stört Thomas Ihde, Facharzt für Psychotherapie und Psychiatrie. Noch immer sei unser Bild von der Psychiatrie von Filmen wie «Einer flog über das Kuckucksnest» geprägt. «Von einer Psychiatrie, in der schwerkranke Menschen sind und das selbst nicht erkennen wollen. Eine Institution, in der mit Zwang gearbeitet wird.»
Medien prägen das Bild von Psychiatrien
Medien prägen das Bild von Psychiatrien, erklärt Thomas Ihde: Auch Berichte über Zwangseinweisungen oder die Fälle von ritueller Gewalt / Mind Control, wo Patientinnen und Patienten in Schweizer Psychiatrien mit satanischen Verschwörungserzählungen therapiert werden.
Diese Berichte seien «nötig und wichtig», sagt Ihde, der auch Präsident der Stiftung Pro Mente Sana ist. Aber sie verunsichern die Menschen. «Wir hatten nach den Berichten viele Telefonanrufe von Menschen, die kurz vor einem Klinikaufenthalt standen und fragten, ob das nun gefährlich sei.»
Wende in den letzten Jahren
Thomas Ihde sieht auch den erfreulichen Trend in eine andere Richtung: Immer mehr prominente Leute sprechen in den Medien über ihren stationären Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik. Neben dem Podcaster Felix Lobrecht etwa auch der Comedian Luke Mockridge oder Ronja von Rönne.
In einem Instagram-Post vom Februar 2022 erklärt die deutsche Schriftstellerin und Journalistin, dass sie gerade in einer Klinik sei und verlässlich daran scheitere, diesen zweiten Aufenthalt als Start- und nicht als Endpunkt zu betrachten. «Aber: Ärztinnen gut, Mitpatientinnen zauberhaft, und anders ging es nicht.»
Man hört ja oft fürchterliche Berichte aus psychiatrischen Kliniken. Aber ich will hier eine Lanze brechen.
Auch Schweizer Promis sprechen über ihren Klinikaufenthalt: Die Sängerin Stefanie Heinzmann und der Rapper Gimma waren in ihren Jugendjahren dort. Die Bloggerin Pony M. auch – wegen einer postnatalen Depression. Sie schrieb eine ihrer Kolumnen für «Watson» aus der Klinik heraus: «Man hört ja oft fürchterliche Berichte aus psychiatrischen Kliniken. Aber ich will hier eine Lanze brechen.»
Prominente sind wichtige Türöffner
Die öffentlichen Personen hätten eine wichtige Türöffner-Funktion, sagt Ihde, denn Vorurteile lassen sich nur durch direkten Kontakt abbauen: «Wenn man von jemandem hört oder mit jemandem redet, der in einer Klinik war, bekommt das Ganze eine gewisse Normalität.»
Zudem merkt Thomas Ihde auch schon Folgen des Trends, öffentlich über die mentale Gesundheit zu sprechen: «Menschen suchen sich generell früher Hilfe und sind in Krisen offener, über verschiedene Varianten nachzudenken.»
Der Facharzt denkt dabei an Teams, die in den Krisen daheim begleiten, an ambulante Krisengespräche, Kriseninterventionsstationen oder eben Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken.
«Nicht luxuriös, aber in Ordnung»
«In mir wecken solche Berichte positive Gefühle,» sagt die 32-jährige Laura. «Sie helfen mir dabei, meine Scham abzubauen.» Laura war vor zwei Jahren selbst in einer psychiatrischen Klinik und fügt an: «Noch mehr aber helfen mir Erfahrungsberichte von Personen, die nicht im öffentlichen Leben stehen. Vielleicht, weil ich mich mit diesen Menschen besser identifizieren kann.»
Während die Erzählungen der Promis oft vage bleiben und keine tiefen Einblicke in den Klinikalltag liefern, ist Laura bereit, detailliert über ihre Erfahrungen zu berichten. Sie könne zwar nur für sich sprechen und kenne auch Menschen, die negative Erfahrungen gemacht hätten in Psychiatrien, ihr Aufenthalt aber sei ein Wendepunkt für sie gewesen.
Trotzdem möchte sie ihren richtigen Namen nicht in den Medien lesen: Zu gross die Angst, dass sich vor allem im Arbeitsleben Nachteile daraus ergeben könnten.
Im Dezember 2021 läuft die damals 30-Jährige durch die Eingangstür einer psychiatrischen Klinik. Nichts von kaltem Betonbau mitten in einem städtischen Unispital-Komplex oder abgeschieden am Ende der Welt. Die Klinik liegt in einer idyllischen Kleinstadt in der nördlichen Deutschschweiz: ein paar kleine Läden, ein paar Restaurants, ein Fluss und viel Grün.
Die Klinik selbst wirkt eher wie ein Hotel, Lauras Einzelzimmer wie ein Hotelzimmer. «Nicht luxuriös, aber völlig in Ordnung.» Das war ihr wichtig, denn ein Spital-Setting hätte ihr nicht gutgetan. «Man konnte sich so vormachen, man sei irgendwo in den Ferien», sagt sie lachend.
Den Körper wieder spüren lernen
Laura legt einen Stundenplan auf den Tisch: Tanztherapie. «Ich habe es gehasst», sagt sie. Da lernte Laura ihren Körper wieder richtig zu spüren. Zum Beispiel, wie anders es sich anfühlt, ob sie barfuss, mit Socken oder mit Schuhen läuft. Oder wild und frei tanzt: Wie man sich gerade fühlt, ohne dabei an die anderen zu denken.
In den Einzel- und Gruppentherapien – je zwei Stunden pro Woche – realisierte Laura zum ersten Mal, warum Panikattacken und depressive Episoden, Alkohol und Schlafmittel seit vielen Jahren zu ihrem Alltag gehörten: Sie leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), ausgelöst durch eine schwierige Kindheit und mehrere Erlebnisse sexueller Gewalt. Ihr Körper hat auf eine Art Flucht- oder Gefahrenmodus umgestellt.
Individuelle Therapieansätze sind gefragt
Nicht zuletzt deshalb lassen sich auf ihrem individuell für sie zugeschnittenen Klinik-Stundenplan, der täglich ein gemeinsames Mittag- und Abendessen vorsieht, viele Stunden Körperarbeit finden: Nordic Walking, Yoga oder Escrima, ein philippinischer Stockkampf.
All die Therapien lösten viel in mir aus.
In der Ergotherapie wurde mit den Händen gearbeitet: getöpfert, Körbe geflochten oder Specksteine geschliffen. Die Kunsttherapie mochte sie am liebsten: «Da ging es darum, den Kopf auszuschalten, zu malen, was man fühlt, etwas Neues auszuprobieren, die eigene Erwartungshaltung abzulegen und aufzuhören, alles perfekt machen zu wollen.» Noch heute – zwei Jahre nach ihrem Klinikaufenthalt – malt sie: Sie kann sich dadurch beruhigen und ihre Emotionen sortieren.
«Es war kein Zuckerschlecken»
Seit dem Klinikaufenthalt spürt Laura ihren Körper wieder, kann wieder weinen und sich selbst annehmen: «Ich habe sehr viel Energie gebraucht, um meinen Zustand vor mir selbst und anderen zu vertuschen. Durch die radikale Selbstakzeptanz, die ich in der Klinik gelernt habe, kann ich diese Energie nun für meine Gesundung einsetzen.»
«Auch wenn dieser Stundenplan wie Ferien wirkt: Es war kein Zuckerschlecken. All die Therapien lösten viel in mir aus.» Während dem Klinikaufenthalt ging es der 32-Jährigen schlechter als vorher, aber auf eine gute Art, sagt sie. Weil die Emotionen, die so lange vergraben waren, endlich hochgekommen sind. «Das macht den Klinikaufenthalt zu einer sehr schwierigen, aber auch schönen Zeit.»
Am Ende des Gesprächs sagt sie sehr ehrlich: «Mir ging es 20 Jahre lang schlecht. Ich kann nicht einfach einen Schalter kippen und dann ist alles wieder gut. Das ist ein Prozess, der noch Jahre dauern wird. Trotzdem habe ich ganz viele gute Momente.»