J.D. Vance wuchs in verarmten Verhältnissen im US-Bundesstaat Ohio auf, mit einer alleinerziehenden, drogensüchtigen Mutter. Seine Geschichte hat er vor sieben Jahren in einem Buch erzählt, das zum Bestseller wurde. Damals nahm der heutige Intendant der Wiener Festwochen, Milo Rau, das Buch mit in den SRF Literaturclub. Wir haben mit ihm über den möglichen US-Vizepräsidenten gesprochen.
SRF: Vor ziemlich genau sieben Jahren erschien das Buch «Hillbilly Elegy» von J.D. Vance. Damals wurde es von vielen als die wichtigste Neuerscheinung des Frühjahrs 2017 bezeichnet. Ist das rückblickend immer noch so?
Milo Rau: Ich glaube, das Buch war damals schon eine Projektion. Ein bisschen vergleichbar vielleicht mit «Rückkehr nach Reims» von Didier Eribon: Man versucht zu verstehen, wie eine alleingelassene weisse Arbeiterschaft plötzlich rechts wählt. Das Interessante ist aber, dass das Buch diese Antworten, die man hineinprojiziert, eigentlich gar nicht gibt. Vance gibt dem Individuum die Schuld. Es ist eine interessante Mischung aus Neoliberalismus, diesem «Man kann es schaffen» – und dem Klagegesang, also der Elegie der weissen Arbeiterschaft, die ihre tragende Rolle in den USA verloren hat. Das ist es, was Trump oder seine Wählerschaft ausmacht, und seine Ideologie.
Mit der Ankündigung im Hinterkopf, dass Trump J.D. Vance zum Vizepräsidenten ernennen würde – wie wirken dessen Buch und seine Person nun auf Sie?
Vances Wandel, weg vom Trump-Kritiker, ist nicht überraschend. Das läuft seit einigen Jahren – und hat mit persönlicher Freundschaft zu tun: zuerst zwischen Trumps Sohn Donald Jr. und Vance und später zwischen Vance und Donald Trump selber. Trump kann auf Männer sehr anziehend und charismatisch wirken. Das hat wohl auch Vance ein Stück weit verführt. Auf der anderen Seite zeigt es natürlich den Wandel, der sich innerhalb der gesamten Republikanischen Partei vollzieht: Die Opposition gegen Trump ist verschwunden, die Republikaner sind eine Partei Trumps geworden.
Als Trump das erste Mal gewählt wurde, war man erstaunt, weil man das für unmöglich gehalten hatte. Jetzt wird es wieder geschehen, nur wissen wir dieses Mal, dass es passieren wird.
Was für eine Art Vizepräsident können wir von J.D. Vance Ihrer Meinung nach erwarten, wenn Trump die Wahlen im Herbst tatsächlich gewinnt?
Ich glaube, viel wichtiger ist aktuell noch der Prolog – also die Frage, welche Art Vizepräsident er im Wahlkampf sein wird? Es geht sehr stark darum, dass er die Menschen anspricht, auf die Trump vielleicht nicht so überzeugend wirkt – nämlich die Klasse, aus der Vance selbst stammt. Aus diesen abgehängten «Fly Over States» in der Mitte der USA. Diese Schichten, die Vance repräsentiert, sind teilweise nicht so stark in der Wählerschaft vertreten, wie es immer behauptet wird – aber durch ihn können sie da jetzt hineingezogen werden.
Auf der anderen Seite gibt es natürlich immer eine Hoffnung – auch wenn ich denke, dass es nicht eintreffen wird: Nämlich, dass einerseits das Attentat, andererseits Vance und einige andere Menschen um Trump herum, vielleicht seinen Wahlkampf etwas humanisieren.
Das Gespräch führte Bodo Frick.