Was wäre, wenn wir unsterblich wären? Ist die Frage wirklich so kontrafaktisch? Einige Leute sind ja schon fast unsterblich. Zum Beispiel Joan Collins. Oder Prince Philip. Wobei das zwei verschiedene Modelle wären: mit und ohne Alterslosigkeit.
Denn die nächste Frage ist ja: Wenn man unsterblich wäre, wäre man dann auch alterslos? Wir leben schliesslich in der Spätmoderne mit ihren technischen Möglichkeiten, den Körperrohstoff im Dienste sozialer Imperative zu perfektionieren.
Besagte Technik produziert zusammen mit einem psychosozialen Schönheitsideal jugendlicher Makellosigkeit bereits heute eine Kohorte von Menschen zwischen 40 und 70, deren chirurgisch optimierte Gesichter in der Tat nicht jung aussehen, aber auch nicht alt, sondern ungefähr wie ein erschrockener Goldfisch.
Anderseits gibt es 12-Jährige, die mit Make-up-Tutorials für das sogenannte Insta Face auf Youtube ihre Eltern finanzieren und aussehen wie 35. Und dann gibt es Orte auf der Welt, etwa Beverly Hills oder St. Moritz, wo inzwischen kaum ein Teenager jünger ist als 40.
Und was ist das philosophische Problem damit? Ich sag’s Ihnen: der abendländische Topos der Körper-Geist-Dualität kommt uns abhanden. Mit anderen Worten: Die Fixierung auf den Körper schürt eine Illusion von Unsterblichkeit, physischer Unsterblichkeit, welche die immaterielle Unsterblichkeit abwertet, die bisher der Geist für sich reklamieren konnte.
Unsterblichkeit vs. Alterslosigkeit
Elaborieren wir das ein bisschen. Die ewige Jugend scheint zum Greifen nah, und die Kehrseite ist: der Tod. Diese ultimative Kränkung. Der Mensch, geboren mit der Intuition von Sterblichkeit, ist (von Ausnahmen abgesehen) seit jeher kein grosser Fan des Todes.
Er hat im Laufe der Kulturgeschichte hier und dort verschiedene Projekte bemüht, ihn zu verneinen: Religion, Kunst, Politik, Konsum. Auch die Philosophie. Das zeitgenössische Projekt heisst: Selbstoptimierung. Selbsterschaffung. Alles im Diesseits. In gottloser Transzendenz und tendenziell unendlich. Denn besser geht immer.
Aber man scheut sich, von Unsterblichkeit zu reden. Man redet lieber von Alterslosigkeit oder verlängerter Jugend, mit der Option auf Ewigkeit. Ewige Jugend scheint für ewiges Glück zu stehen – und eben das: glücklich zu sein, ist, neben Gesundheit und Nachhaltigkeit, ein Wert, auf den sich die spätmoderne Multiminoritätengesellschaft gerade noch einigen kann.
Physisch unsterblich, ewig unglücklich
Doch sämtliche Ewigkeitszustände haben etwas Unaushaltbares. Auch ewiges Glück. Es ist dem Menschen unmöglich, irgendein Sein extrapoliert aufs Unendliche noch als glücksstiftend zu erleben – und sei es in Begrenztheit noch so angenehm.
Schliesslich sind nur vor dem Hintergrund eines limitierten Zeithorizonts Prioritätensetzungen überhaupt sinnvoll. Werte erhalten Sinn durch Begrenzung. Der Geist braucht einen begrenzten Horizont, damit die Bedeutung des Materiellen nicht überhandnimmt.
Denken Sie mal ans letzte Hemd. Das hat bekanntlich keine Taschen. Was aber, wenn es gar kein letztes Hemd mehr gibt? Die Gier wäre schrankenlos.
Also lautet die Antwort: Wenn wir physisch unsterblich wären, wären wir ewig unglücklich. Aber ich habe was zum Trost. Erstens: Man kann auch unsterblich sein, obwohl man lange tot ist. Zweitens: Auch Sterblichkeit lässt sich mit der Existenz einer Seele vereinbaren.