Stellen Sie sich vor, auf einem Schiff meuterten die Matrosen gegen ihren Kapitän, der zwar als einziger Ahnung von Seefahrt hätte, aber ansonsten nicht eben glänzende Qualitäten und sich also überrumpeln liesse.
Die unkundigen Seeleute würden sich danach auf die Schultern klopfen und womöglich die Schiffsvorräte verprassen, aber man kann sich lebhaft vorstellen, dass diese Seefahrt mangels nautischer Fähigkeiten von den nunmehr das Kommando führenden Gesellen nicht gut ausgehen wird …
Die Politik erfordert keine Qualifikation
Platons Gleichnis vom Staatsschiff ist nur eine der Stellen, an denen der antike Philosoph einen für ihn zentralen Punkt macht, der an Anschaulichkeit auch nach mehr als zwei Jahrtausenden wenig eingebüsst hat:
Dass es nämlich doch mehr als erstaunlich ist, dass wir bei allen möglichen Tätigkeiten – der Medizin, dem Handwerk, der Kunst, oder eben der Schifffahrt – ganz selbstverständlich davon ausgehen, dass es einer gewissen Expertise und Erfahrung bedarf, um sie gut auszuüben.
Für die Politik, für die Führung eines Staates, gilt das aber gerade nicht gilt. Hier kann und darf jeder ans Ruder kommen, egal ob ihn etwas dafür qualifiziert oder nicht.
Wähler sind oft irrational
Nun gilt Platons Kritik natürlich der radikalen Demokratie seiner Heimatstadt, wo die Exekutive zeitweise per Los gewählt und alle 35 Tage gewechselt wurde, sich also keine Erfahrung herausbilden konnte. Aber auch von den Wahlverfahren in unseren modernen Demokratien lässt sich nicht sagen, dass sie dazu tendieren, besonders kompetente Bürger in Regierungsämter zu bringen.
Trump ist natürlich das letzte, unrühmliche Beispiel, an dem das besonders deutlich auffällt. Aber dass diejenigen, die sich demagogisch aufspielen und selbstsicher anmassen, zu regieren, oft mehr Erfolg beim Wahlvolk haben als leisere, vernünftigere Zeitgenossen, ist eine sattsam belegte Tatsache.
Ebenso wie es bereits vielfach gezeigt wurde, dass unser Wahlverhalten oft weniger von rationalen Gründen als von teilweise ganz unvernünftigen Gefühlen getragen wird.
Auch Philosophen taugen nicht zum Regieren
So tragen alle Demokratien in sich inhärent die Tendenz zum Populismus – eine Tendenz, die uns gerade heute besondere Sorgen macht, wo sie durch die polemische, verkürzende und polarisierende Kommunikationsform der sozialen Medien verstärkt wird.
Platons Lösung für das Problem ist keine besonders Praktikable: Er schlägt vor, die Philosophen regieren zu lassen – und die Gesellschaft im Übrigen in einem relativ rigiden, nach Eignung sortierten Kastensystem zu organisieren.
So attraktiv wir Philosophen eine solche Idee von Amts wegen finden mögen – die historischen Erfahrungen lehren, dass auch Philosophen, trotz ihres laut Platon besseren Verständnisses von Gerechtigkeit, nicht wirklich zum Regieren (oder nur schon zur Regierungsberatung) taugen.
Schon Platon selbst scheiterte grossartig mit seinem Versuch, den Tyrannen von Syrakus auf Sizilien zum philosophischen Herrscher zu bilden. Ein sprichwörtliches Versagen: Die «Rückkehr aus Syrakus» wurde etwa nach der Nazi-Zeit zum geflügelten Wort, das nicht nur Heidegger vorgehalten wurde, sondern einer ganzen Reihe von Intellektuellen, die sich dem Regime angedient hatten.
Das Ideal des Gesprächs
Nein, mit Platon kommt man nicht aus der Populismus-Falle heraus. Zumindest nicht mit seiner Fantasie von der Philosophenherrschaft. Mit einer anderen seiner zentralen Überzeugungen vielleicht schon eher: nämlich seinem Ideal des Gesprächs.
Der sokratische Dialog, den er seiner Lebtag in immer neuen Varianten beharrlich inszeniert, ist ein explizites Gegenmodell zum sophistischen Argumentieren, das auf Überwältigung und Rechthaben aus ist.
Platon setzt dagegen das sorgsame gemeinsame Nachdenken und Reden, in dessen Zentrum eine Tugend steht, die unseren immer polarisierter werdenden Social-Media-Filterblasen und politischen Lagern dringend Not täte: nämlich das gegenseitige Wohlwollen und Verstehen-Wollen.