Rund 800 christliche fremdsprachige Gemeinden gibt es in der Schweiz. Das sind teils eigenständige Migrationskirchen, teils bieten Landeskirchen fremdsprachige Gottesdienste an.
40 Prozent der römisch-katholischen Gläubigen in der Schweiz haben ihre Wurzeln im Ausland. Deshalb unterhält die römisch-katholische Landeskirche 110 Seelsorgestellen speziell für Fremdsprachige. Sie sind meist in sogenannten «Missionen» organisiert.
Priester wandern von den Philippinen, aus Eritrea, den USA ein, um in der Schweiz Seelsorge zu leisten. So kommt es, dass hierzulande auch auf Koreanisch, Tamil, Portugiesisch, Tigrinya und besonders viel auf Italienisch Messe gehalten wird.
Am Anfang war das Italienisch
Die älteste und grösste der sogenannten «Missionen» in der Schweiz ist die italienische. Zwar ist Italienisch eine Schweizer Landessprache. Diese «Missionen» wurden aber zuerst in der Deutschschweiz gegründet, für die italienischen Arbeiter ohne Familien.
Dafür kamen Priester extra aus Italien. Nach über 50 Jahren ist die «missione cattolica» immer noch ein Ort der Heimat und des guten Essens. Auch längst Eingebürgerte zweiter und dritter Generation vernetzen sich hier. Jede migrantische Sprachgruppe findet ihre Heimat also in «ihrer» jeweiligen Mission.
Feiern auf Finnisch
Auch die evangelischen Kirchen der Schweiz sind nicht weniger vielsprachig. In der lutherischen Gemeinde Zürich etwa kann man auch schwedische und finnische Gottesdienste erleben.
Die 1200 Seelen starke Gemeinde zählt aktuell 17 Nationen. «Der finnische Gottesdienst ist für mich Heimatland», sagt eine lutherische Gläubige in Zürich.
Migration und Mundart
Auch Migrantinnen und Migranten lernen Schweizerdeutsch. Kinder sowieso. Doch taugt Schweizerdeutsch auch als Gottesdienstsprache? Diese Frage wird immer wieder diskutiert. Ist Mundart dem liturgischen Anspruch einer Feier angemessen? Wen schliesst man aus? Wen ein?
Dialekt passe gut im Gottesdienst, sagt die Baselbieter Pfarrerin Tabitha Walther. Aber es komme auf den Anlass und die Gemeinde an. Walther überlegt sich für jeden Gottesdienst, mit welchen Sprachen sie arbeitet: ob auf Mundart, gemischt mit Hochdeutsch oder mit Liedern und Texten weiterer Sprachen.
«Herausspüren, welche Sprache passt»
Gerade bei Hochzeiten und Abdankungen komme heute ein diverses Publikum zusammen, das multikulturell und multireligiös sei, sagt Tabitha Walther. Dem gerecht zu werden, sei ihr wichtig. Deshalb hat sie selbst viele Sprachen erlernt und sich in interreligiösem Dialog weitergebildet.
Mit Mehrsprachigkeit meine sie auch eine religiöse Mehrsprachigkeit, sagt Tabitha Walther. «Als Profi muss ich wissen, wie viel Frömmigkeit und welche Sprache mein Gegenüber verträgt. Ich muss herausspüren, welche Sprache passt, um die Leute nicht total abzuturnen.»
Beim traditionellen Gottesdienst besteht die liberale Theologin Walther auf bestimmte Strecken Hochdeutsch. Liturgische Teile wie das «Unser Vater» sollten Hochdeutsch sein. «Weil das die Sprache ist, in der ich beten gelernt habe», sagt Tabitha Walther.
Eine Frage der Sozialisierung
Heimat erleben gläubige Menschen just in «ihren» liturgischen Sprachen. Das sind keine Umgangssprachen. Aber die Sprachen des Gottesdiensts sind die, in denen Menschen religiös sozialisiert wurden.
Bei der Gottesdienstsprache geht es um kulturelle und spirituelle Beheimatung. Das gelte auch für andere Religionen, betont Theologin Tabitha Walther, die am Zürcher Institut für interreligiösen Dialog (ZIID) arbeitet.
Verstehen ohne Worte
In der «göttlichen Liturgie» der Ostkirchen etwa erklingen Kirchenslawisch und ein liturgisches Griechisch. Die Wortbedeutung dieser Gottesdienstsprachen bleibt den meisten Griechinnen oder Serben heute unverständlich.
Trotzdem fühlen sie sich in der prachtvoll gestalteten Liturgie, in den Gesängen und Rezitationen wohl und zu Hause. Das ist ein ähnlicher Effekt wie eine schön vorgetragene Rezitation aus dem Koran. Man versteht zwar den Text nicht, ist aber ergriffen.
Beim Koran kommt noch etwas hinzu: Nach traditionellem Verständnis kommt ihm nur in der Originalsprache, dem Hocharabischen, Offenbarungsqualität zu. Und zwar dann, wenn die Suren laut rezitiert werden. Das muss ästhetisch und sprecherisch professionell geschehen. Erst so vermittle sich die Schönheit und Tiefe des Koran.
Die Grenzen einer Übersetzung
Die muslimische Lehrerin Esther Fouzi verfolgt in ihrem Religionsunterricht ein aufklärerisches Ziel. Sie will, dass ihre Schülerinnen und Schüler so viel Arabisch lesen und verstehen, dass sie sich ihr eigenes Bild vom Koran machen können.
Auch die besten Übersetzungen könnten nie die ganze Bedeutungsfülle eines Urtextes transportieren, sagt Esther Fouzi, die zwei kleine Klassen in Rüti (ZH) unterrichtet. Deshalb sei es so wichtig, dass Musliminnen und Muslime Grundkenntnisse im Hocharabischen haben.
Mündigkeit dank Mehrsprachigkeit
Grundkenntnis der Originalsprache gehört auch im religiösen Judentum zur religiösen Mündigkeit. Auch dort sollen Buben und Mädchen, bis sie 12 oder 13 Jahre alt sind, Hebräisch laut vortragen können. Erst dann sind sie religionsmündig.
Der Zauber der Originalsprache der jüdischen Bibel motiviere auch viele nicht-jüdische Menschen dazu, Hebräisch zu lernen. Das habe nicht nur, aber auch religiöse Gründe, erklärt die reformierte Theologin Tabitha Walter.
Im Hebräischen sei eben etwas von der Basis unserer ganzen Kultur «geronnen». Und wie beim Koran kann auch die Denkwelt und Poesie hebräische Bibel nur in der Originalsprache erfahren werden.
Auf genau diesen «Original-Sound» legt auch Esther Fouzi in ihrem Arabischunterricht wert. Im Unterricht spricht sie mit den Kindern Schweizerdeutsch und arbeitet mit hochdeutschen Übersetzungen des Koran. Eine Übersetzung ins Schweizerdeutsche gibt es nicht.
Bestseller Bibel
Bei der Bibel ist das anders. Sie wurde bis heute in 719 Sprachen übersetzt, in 2805 weiteren Sprachen liegen zumindest Teile der Bibel vor, etwa Neues Testament und Psalmen.
Das Christentum ging hier also einen anderen Weg als Islam und Judentum. Die Kirchen wollten die gute Botschaft überall einbringen, sowohl in landessprachlichen Gottesdiensten als auch mit der Bibelübersetzung.
So gibt es auch eine Bibel auf «Baselbieter Dütsch», auf «Bärndütsch» oder auch eine surselvische Bibel. Die «Bibla ecumena romontscha» war ein Jahrzehnte langes Projekt. Ökumenisch entschied man, nicht das ungeliebte «Rumansch grischun» zu wählen, sondern das surselvische Idiom.
Gottes Wort in der Sprache des Herzens
Warum dieser christliche Effort bei den Übersetzungen, selbst in kleinste Idiome: «Weil das die Sprache des Herzens ist», betont der ehemalige Präsident der Schweizer Bibelgesellschaft, Pfarrer Urs Jörg.
Zu jedem Theologiestudium an der Universität gehört das Lernen der biblischen Sprachen Hebräisch und Altgriechisch (Koine). Während die Kirchen dieses Sprachenlernen meist ihren Profis überlassen, ist das im praktizierten Islam, im Thai-Buddhismus oder auch im religiösen Judentum anders.
Aleph Bet Gimel Dalet He Waw Sajin …
In den jüdischen Privatschulen der Schweiz wird neben dem obligatorischen Lernstoff vom ersten Schultag an auch Hebräisch gelernt: Biblisches Hebräisch und, wer will, auch Neuhebräisch (Iwrit).
In liberalen Reformsynagogen wird mitunter auch auf Deutsch oder Englisch gebetet. Aber selbst dort ist Hebräisch omnipräsent. Es fühle sich sonst einfach nicht richtig an, sagt eine liberale Basler Jüdin. «Die Tora, die Torarollen müssen auf Hebräisch sein, sonst sind sie nicht echt.»
«Damit wir uns verstehen!»
Mehrsprachigkeit religiöser Menschen in der Schweiz: Das heisst also nicht nur polyglott in den Umgangssprachen zu sein, sondern auch mehrere religiöse Sprachen zu kennen. Für die Theologin Tabitha Walther wird die interreligiöse Dialogarbeit immer wichtiger.
Walther plädiert dafür, die Sprachenvielfalt in der Schweiz, die insbesondere religiöse Menschen mitbringen und pflegen, wertzuschätzen.