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Vorgegaukelte Autonomie Wo KI draufsteht, ist oft Mensch drin

Technologie gibt gerne vor, mühelos und automatisch zu funktionieren. Doch oft geht das nicht ohne menschliche Hilfe. Warum das Versteckspiel?

Künstliche Intelligenz hat in den letzten Jahren rasante Fortschritte gemacht. KI-Systeme wie ChatGPT schreiben auf Knopfdruck Texte, andere KIs erkennen Bilder oder lenken Autos – scheinbar vollautomatisch und ohne menschliche Hilfe.

Doch so einfach ist es nicht: Bei vielem, wo KI draufsteht, hat am Ende (oder am Anfang) doch der Mensch seine Hände im Spiel. Dabei wird gerne die Geschichte des «Mechanical Turk» bemüht – ein vermeintlicher Schachroboter aus dem 18. Jahrhundert, in dem ein Mensch versteckt war.

Der Roboter, der keiner war

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Eine historische Zeichnung des Mechanical Turks
Legende: Kupferstich des «Schachtürken» von Joseph Racknitz, 1789 Wikimedia/Humboldt University Library
  • Der «Mechanical Turk» (zu Deutsch auch «Schachtürke» genannt) wurde 1769 vom österreichisch-ungarischen Hofbeamten und Mechaniker Wolfgang von Kempelen konstruiert.
  • Das Gerät konnte angeblich ohne menschliche Hilfe Schach spielen und besiegte sogar erfahrene Gegner – darunter prominente Namen wie Benjamin Franklin oder Napoleon Bonaparte.
  • Die Konstruktion bestand aus einer Kiste, auf der ein Schachbrett lag und hinter der sich eine orientalisch gekleidete Figur befand.
  • In der Kiste versteckt war ein Mensch, der die Bewegungen der Schachfiguren von unten verfolgen konnte und die Figur des «Schachtürken» steuerte.
  • Der «Mechanical Turk» faszinierte die Öffentlichkeit über Jahrzehnte, ohne dass sein Geheimnis gelüftet wurde.

Der ursprüngliche «Mechanical Turk» wurde im Jahr 1854 bei einem Feuer zerstört. Doch seine Idee lebt fort – als Metapher für Technologien, die Autonomie vorgaukeln, während im Hintergrund Menschen harte Arbeit leisten.

KI trainieren für unter zwei Dollar Stundenlohn

Auf KI basierende Systeme zur Bilderkennung etwa sind dank neuer Technologien wie dem maschinellen Lernen immer besser geworden. Doch viel von den in den letzten Jahrzehnten erzielten Fortschritten hat auch mit menschlicher Arbeit zu tun, die gerne verschwiegen wird.

Frau betrachtet reflektierenden Computerbildschirm mit Text.
Legende: Damit ein Chatbot nicht ausfällig und diskriminierend wird, muss ihm zuerst beigebracht werden, was Hass und Gewalt sind. Diese Aufgabe übernehmen meist schlecht bezahlte Arbeitskräfte, oft im globalen Süden. Getty Images/Laurence Dutton

Denn um festzustellen, ob eine KI beim Training ein Bild richtig erkannt hat oder nicht, müssen erst Unmengen von Bildern von menschlichen Helferinnen und Helfern kategorisiert werden.

Auch KI-Textgeneratoren sind im Training auf viel menschliche Unterstützung angewiesen: Um sicherzustellen, dass die künstliche Intelligenz Eingaben richtig versteht und keine Hassrede oder andere problematische Texte ausgibt, müssen Menschen das System entsprechend instruieren.

Solche Arbeiten finden häufig in Billiglohnländern statt. Arbeiterinnen und Arbeiter sitzen dafür stundenlang vor dem Bildschirm und bekommen es dabei meist auch mit psychologisch belastenden Inhalten zu tun.

Wie das «Time»-Magazin 2023 bekannt gemacht hat, zahlte OpenAI, das Milliarden-Unternehmen hinter ChatGPT, für diese monotonen und belastenden Aufgaben zum Teil Stundenlöhne von weniger als zwei Dollar.

Anderthalb Leute oder ein Taxifahrer?

Ein anderes Beispiel ist die Moderation von Inhalten in den sozialen Medien: Firmen wie das Facebook-Unternehmen Meta behaupten gerne, künstliche Intelligenz würde automatisch unerwünschtes Material auf seinen Plattformen entfernen. Allerdings müssen viele dieser fragwürdigen Inhalte am Ende doch von Menschen geprüft werden, weil es zu unzuverlässig ist, sich bei der Kontrolle nur auf KI zu verlassen.

Mann auf Roller neben autonomem Auto auf Kreuzung.
Legende: Die selbstfahrenden Taxis der US-Firma Cruise sind nur ein Beispiel für eine vorgegaukelt autonome Technologie. Die modernen «Mechanical Turks» finden sich in diversen Bereichen. Getty Images/Bloomberg/Kontributor

Auch bei selbstfahrenden Autos sitzt in Wahrheit zuweilen ein «Mechanical Turk» am Steuer. Der Robotaxi-Anbieter Cruise etwa, ein Tochterunternehmen von General Motors, rühmte sich, in San Francisco eine autonome Taxi-Flotte zu betreiben. Doch wie sich herausstellte, wurde jede Fahrt von Menschen überwacht – von durchschnittlich anderthalb Leuten pro Taxi.

Amazon Go & Co. – «Mechanical Turks» sind überall

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  • Mit Amazon Go wollte der Versandhändler Amazon eine KI-Supermarktkette fast ohne menschliches Personal führen. Ohne eigentlichen Kassiervorgang sollten die eingekauften Artikel durch Sensoren und Kameras erfasst und nach dem Verlassen des Ladens automatisch berechnet werden. Allerdings: In rund 70 Prozent der Fälle mussten Arbeiterinnen und Arbeiter in Indien die Einkäufe noch einmal manuell überprüfen. Amazon hat den Versuch mittlerweile eingestellt.
  • Ähnliche Erfahrungen haben die US-Fast-Food-Ketten Checkers und Carl’s Junior machen müssen, die das Bestellen am Drive-through-Schalter mit KI automatisieren wollten. Auch hier mussten in gut 70 Prozent der Fälle Menschen in Billiglohn-Ländern den Bestellungen nachhelfen.
  • Auch sogenannte KI-Assistenten können oft nur mit menschlicher Hilfe funktionieren – das war etwa bei einem Assistenten von Facebook der Fall, bei einem von Elon Musks KI-Firma xAI oder bei der KI-Software Expensify, die versprach, Spesenabrechnungen automatisiert zu überprüfen.

Perfides Versteckspiel

Warum geben Unternehmen nicht zu, dass ihre angeblich autonomen Systeme oft auf menschliche Hilfe angewiesen sind? Ein Grund liegt in den Erwartungen von Investorinnen und Investoren. Um als technologischer Vorreiter zu gelten und Kapital anzuziehen, wird mehr versprochen, als die Technologie tatsächlich leisten kann.

Bis zur Erfüllung dieser Versprechen – falls sie sich denn je erfüllen – müssen Menschen in die Bresche springen, die im Verborgenen arbeiten. Nicht wie beim historischen «Mechanical Turk» versteckt in einer Kiste allerdings, sondern gleich auf einem anderen Kontinent.

Radio SRF 3, 7.1.2025, 15:51 Uhr.

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