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Debatte um NS-Raubkunst Zögern bayerische Museen Restitutionen hinaus?

Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen sollen jahrelang heikle Informationen zurückgehalten haben. Intern würden 200 Kunstwerke als NS-Raubkunst gelten, zu Restitutionen aber kam es nicht.

Was ist passiert? Die «Süddeutsche Zeitung» berichtete vergangene Woche über eine geleakte Liste zu NS-Raubkunstfällen der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Auf 900 Seiten sollen Details zu den Provenienzen von circa 200 Kunstwerken stehen, alle als «rot» eingestuft. Darunter sind Bilder von Picasso, Paul Klee oder Max Beckmann. Trotz alarmierender Forschungsergebnisse mit Hinweisen auf NS-verfolgungsbedingte Entzüge seien die Nachfahren der betreffenden jüdischen Sammlerinnen und Sammler nicht informiert worden, so die Süddeutsche Zeitung weiter.

Abstraktes Gemälde mit geometrischen Formen und einer Sonne.
Legende: Paul Klees «Grenzen des Verstandes (1927)» gehört zu den markierten Werken der geleakten Liste. Bayerische Staatsgemäldesammlungen

Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen sind ein Museums-Verbund, dazu gehören unter anderem die Alte Pinakothek oder die Pinakothek der Moderne in München. Diese weisen die Vorwürfe zurück und kündigen rechtliche Schritte an. Die betreffende Liste sei mehrere Jahre alt, eine «rote» Markierung bedeute nicht, dass der Fall als NS-Raubkunst eingestuft worden sei.

So funktioniert die Einstufung von Bildern mit unklarer Herkunft

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Die Forschung arbeitet üblicherweise mit einer sogenannten «Provenienzampel»: grün bedeutet keine NS-Raubkunst, orange gibt Verdachtsmomente oder Hinweise an, rot bewertet das Objekt als NS-Raubkunst.

Also ist das Ganze gar kein Skandal? Aufsehenerregend sind die Provenienzrecherchen, die die Liste gemäss «Süddeutscher Zeitung» enthält. Sie zeigten, dass die Forschung in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen funktioniert. Bloss wurden viele der durch die Forschung als verdächtig markierten Objekte danach nicht zurückgegeben. Offenbar wurden nicht einmal Einträge in die offizielle deutsche Suchdatenbank «lostart.de» getätigt, obwohl deutsche Museen dazu auch bei blossem Verdacht verpflichtet sind.

Das ist die deutsche Suchdatenbank lostart.de

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Die Datenbank lostart.de wird von der Stiftung «Deutsches Zentrum Kulturgutverluste» unterhalten. Sie verzeichnet Bilder, Zeichnungen und Objekte, die ihren Eigentümerinnen und Eigentümern zwischen 1933 und 1945 aufgrund nationalsozialistischer Verfolgung entweder entzogen wurden, oder bei denen ein solcher Entzug nicht ausgeschlossen werden kann.

Deutsche Museen sind dazu verpflichtet, Einträge zu machen, auch wenn es sich bloss um einen Verdacht handelt. Lostart.de soll Suchmeldungen und Fundmeldungen zusammenbringen, damit die Erben einer jüdischen Sammlerin, die eine «Landschaft mit blauer Lagune» suchen, von der «Sicht aufs blaue Meer» erfahren, die den Provenienzforscherinnen in einem deutschen Museum verdächtig erschien. Die Idee: Gemeinsam lässt sich mehr klären, als ohne voneinander zu wissen.

Wie gravierend ist das? Mit dem internationalen Abkommen der «Washingtoner Erklärung» (1998) verpflichteten sich 44 Staaten, NS-Raubkunst aufzuspüren und «faire und gerechte Lösungen» dafür zu finden. Auch der bayerische Minister für Kunst und Wissenschaft, Markus Blume von der CSU, forderte in einer Stellungnahme zur Aufregung um die Staatsgemäldesammlungen die restlose Aufklärung der Vorwürfe: «Bayern stand und steht ohne Wenn und Aber zur Wiedergutmachung von erlittenem NS-Unrecht».

Expressionistisches Gemälde mit Figuren, einem Zug und einer Brücke.
Legende: Auch Max Beckmanns «Chinesisches Feuerwerk» aus der Pinakothek der Moderne ist eines der Bilder, die intern «rot» markiert wurden. Bayerische Staatsgemäldesammlungen

Tatsächlich werden Restitutionen aus den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen aber vom Minister selbst beschlossen, und die Beschlüsse stehen aus. Ein besonders prominenter Fall ist Picassos Bild «Madame Soler» aus den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Die Erben der jüdischen Sammler fordern das Bild zurück. Seit Jahren weigert sich das Bayerische Ministerium für Kunst und Wissenschaft, den strittigen Fall vor die beratende Kommission zu bringen.

Hat der Fall auch mit der Schweiz zu tun? Dass Museen mauern, nicht transparent mit Informationen umgehen, passiert auch in der Schweiz. Zum Beispiel bei der Sammlung Bührle im Kunsthaus Zürich. Erst nach heftigen Protesten wurde die Provenienz-Forschung durch Raphael Gross unabhängig überprüft und plötzlich gab es viel mehr problematische Fälle mit jüdischem Vorbesitz. Interessant ist der bayerische Fall auch, weil er zeigt, wie wichtig eine gut eingerichtete Kommission für strittige Fälle ist. Derzeit berät das Schweizer Parlament darüber, wie eine Schweizer Kommission aussehen soll. Soll die einseitig anrufbar sein oder nur wenn beide Seiten zustimmen? Dann könnte die eine Seite, wie beim Picasso-Bild «Madame Soler», alles blockieren.

Die beratende Kommission NS Raubgut in Deutschland

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Als «Limbach Kommission», benannt nach der ersten Vorsitzenden Jutta Limbach, wurde die 2003 von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden eingerichtete Kommission bekannt. Sie soll Empfehlungen abgeben in strittigen Fällen und bei Differenzen über die Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern vermitteln. Angerufen werden kann die Kommission nur, wenn beide Streitparteien zustimmen. Das hat Folgen: In rund 20 Jahren hat sie nur 23 Fälle bearbeitet. Eine Streitpartei kann die Anrufung der Kommission blockieren. Unterdessen wurde diese Kommission von der deutschen Politik noch kurz vor der Wahl aufgelöst, bevor eine Nachfolgelösung mit Schiedsgerichten installiert ist.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 24.2.2025, 17:10 Uhr

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