Was ist passiert? Die «Süddeutsche Zeitung» berichtete vergangene Woche über eine geleakte Liste zu NS-Raubkunstfällen der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Auf 900 Seiten sollen Details zu den Provenienzen von circa 200 Kunstwerken stehen, alle als «rot» eingestuft. Darunter sind Bilder von Picasso, Paul Klee oder Max Beckmann. Trotz alarmierender Forschungsergebnisse mit Hinweisen auf NS-verfolgungsbedingte Entzüge seien die Nachfahren der betreffenden jüdischen Sammlerinnen und Sammler nicht informiert worden, so die Süddeutsche Zeitung weiter.
Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen sind ein Museums-Verbund, dazu gehören unter anderem die Alte Pinakothek oder die Pinakothek der Moderne in München. Diese weisen die Vorwürfe zurück und kündigen rechtliche Schritte an. Die betreffende Liste sei mehrere Jahre alt, eine «rote» Markierung bedeute nicht, dass der Fall als NS-Raubkunst eingestuft worden sei.
Also ist das Ganze gar kein Skandal? Aufsehenerregend sind die Provenienzrecherchen, die die Liste gemäss «Süddeutscher Zeitung» enthält. Sie zeigten, dass die Forschung in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen funktioniert. Bloss wurden viele der durch die Forschung als verdächtig markierten Objekte danach nicht zurückgegeben. Offenbar wurden nicht einmal Einträge in die offizielle deutsche Suchdatenbank «lostart.de» getätigt, obwohl deutsche Museen dazu auch bei blossem Verdacht verpflichtet sind.
Wie gravierend ist das? Mit dem internationalen Abkommen der «Washingtoner Erklärung» (1998) verpflichteten sich 44 Staaten, NS-Raubkunst aufzuspüren und «faire und gerechte Lösungen» dafür zu finden. Auch der bayerische Minister für Kunst und Wissenschaft, Markus Blume von der CSU, forderte in einer Stellungnahme zur Aufregung um die Staatsgemäldesammlungen die restlose Aufklärung der Vorwürfe: «Bayern stand und steht ohne Wenn und Aber zur Wiedergutmachung von erlittenem NS-Unrecht».
Tatsächlich werden Restitutionen aus den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen aber vom Minister selbst beschlossen, und die Beschlüsse stehen aus. Ein besonders prominenter Fall ist Picassos Bild «Madame Soler» aus den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Die Erben der jüdischen Sammler fordern das Bild zurück. Seit Jahren weigert sich das Bayerische Ministerium für Kunst und Wissenschaft, den strittigen Fall vor die beratende Kommission zu bringen.
Hat der Fall auch mit der Schweiz zu tun? Dass Museen mauern, nicht transparent mit Informationen umgehen, passiert auch in der Schweiz. Zum Beispiel bei der Sammlung Bührle im Kunsthaus Zürich. Erst nach heftigen Protesten wurde die Provenienz-Forschung durch Raphael Gross unabhängig überprüft und plötzlich gab es viel mehr problematische Fälle mit jüdischem Vorbesitz. Interessant ist der bayerische Fall auch, weil er zeigt, wie wichtig eine gut eingerichtete Kommission für strittige Fälle ist. Derzeit berät das Schweizer Parlament darüber, wie eine Schweizer Kommission aussehen soll. Soll die einseitig anrufbar sein oder nur wenn beide Seiten zustimmen? Dann könnte die eine Seite, wie beim Picasso-Bild «Madame Soler», alles blockieren.