Zerstörte Gebäude, ausgeraubte Sammlungen, gefährdete Kunstwerke: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist auch für Museen eine grosse Gefahr. Trotzdem bleiben jene offen, die können.
Oksana Pidsukha arbeitet als Museumsdirektorin in Kiew. Sie war kürzlich in Basel zu Gast, wo sie im Kunstmuseum an der Ausstellung «Born in Ukraine» mitgearbeitet hat. Gezeigt – und somit vor den Bomben geschützt – werden Gemälde aus der Kiewer Nationalgalerie.
SRF: Oksana Pidsukha, wie gefährdet sind Museen in Kiew im Moment?
Oksana Pidsukha: Die Kiewer Gemäldegalerie, also das Nationalmuseum, das wir hier in Basel vorstellen, wurde bei einem der letzten Angriffe auf das Zentrum der Stadt stark beschädigt. Das Museum für ukrainische Diaspora, in dem ich normalerweise arbeite, ist zum Glück noch unbeschädigt.
Was bedeuten diese Angriffe für die Kunstwerke?
Das ist ein Problem, mit dem alle ukrainischen Museen im Moment konfrontiert sind. Es gibt Museen, die vollkommen zerstört wurden. Und in den von Russland besetzten Gebieten gibt es Museen, die ausgeraubt wurden. Dort gibt es ganze Sammlungen, die zurzeit verschwunden sind. Auch die Museen, die nicht auf besetztem Gebiet stehen, befinden sich in grosser Gefahr. Es ist schwer, ein Gebäude vor einem Raketenangriff zu schützen.
So wie die Kiewer Gemäldegalerie, die bei Bombenangriffen stark beschädigt wurde?
Das Nationalmuseum Kiewer Gemäldegalerie hat in diesem Jahr sein 100-jähriges Bestehen gefeiert. Das Jubiläum war im November. Der Tag, an dem die Feierlichkeiten stattfanden und viele Gäste im Museum waren, war auch ein Tag, an dem besonders viele brutale Raketenangriffe auf Kiew ausgeübt wurden. Gäste und Angestellte waren während dieser Angriffe im Haus.
Wie stark wurde das Museum bei den Angriffen beschädigt?
Es gab bereits vorher schwere Bombenangriffe. Am 10. Oktober gab es einen Grossangriff auf die Innenstadt, dabei wurde das Museum stark beschädigt. Alle Fenster und die historischen Glasdecken sind zerstört worden.
Die Menschen wollen ein volles Leben führen – auch im Krieg
Die Mitarbeiter des Museums haben die Fenster aus eigener Kraft mit Holzpaneelen geschlossen, sodass das Museum weiterarbeiten kann und Menschen weiterhin ins Museum kommen können.
Und kommen sie auch?
Ja, das Museum ist offen, es ist im Ausstellungsbetrieb – und es ist sehr gut besucht. Die Menschen aus Kiew, und nicht nur aus Kiew, wollen sich kein Leben in Angst und Schrecken diktieren lassen, sondern sie versuchen, ein möglichst volles Leben zu führen, auch unter diesen Umständen.
Wie sieht ein Besuch in einem stark beschädigten Museum aus?
Die Menschen kommen mit Taschenlampen ins Museum. Sie tragen Mäntel und Jacken. Es ist dunkel und es ist kalt, weil der Strom ausgeschaltet ist. Ab und zu gibt es wieder einen Luftalarm. Es ist also nie ein ganz sicherer, entspannter Museumsbesuch. Aber es ist allen Beteiligten wichtig, dass auch das kulturelle Leben in Kiew weitergeht.
Heisst das, Sie versuchen Ihren normalen Arbeitsalltag aufrechtzuerhalten?
Ich habe seit Kriegsbeginn jeden Tag in meinem Büro im Museum für ukrainische Diaspora gearbeitet. Aber: Es gibt kein normales Leben in der Ukraine.
Ich hoffe, dass Sie alle weiterhin zur Ukraine stehen.
In die Schweiz zu kommen, ist wie auf einen anderen Planeten zu kommen: Das Licht wird nicht ausgeschaltet. Es gibt keine Sirenen. Und wenn ich ein Flugzeug am Himmel sehe, dann habe ich nicht das Bedürfnis, mich auf den Boden zu werfen.
Haben Sie Kontakt mit anderen Museen in der Ukraine?
Mit den Museen in den besetzten Gebieten haben wir wenig Kontakt. Zu den Museen in den befreiten Gebieten nehmen wir so schnell wie möglich Kontakt auf. Ein gutes Beispiel ist das Kunstmuseum in Cherson, dort haben wir nach der Befreiung sofort Kontakt aufgenommen mit den Kolleginnen vor Ort. Dabei haben wir tragische Sachen erfahren: Das Museum wurde beschädigt und ausgeraubt. Die künstlerische Gesellschaft Kiew versucht diesem Museum zu helfen und ihm eine neue Sammlung zu geben.
Was erhoffen Sie sich von der Zukunft?
Ich hoffe nicht nur, sondern ich bin mir sicher, dass die Ukraine gewinnen wird. Und das ist ein Gefühl, das alle Ukrainerinnen und Ukrainer teilen, von jung bis alt. Und ich hoffe, dass Russland sich verantworten muss für all die Zerstörung. Für die vielen Tausende an Toten, für die toten Kinder, für die Zerstörungen, nicht nur der Museen und Städte, auch die ökologische Zerstörung, die Gewalt an Land und Leuten. Und ich hoffe, dass Sie alle weiterhin zur Ukraine stehen.
Das Gespräch führte Alice Henkes, Übersetzung: Olga Osadtschy