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Fünf Jahre nach der Pandemie Schriftsteller Jonas Lüscher: Vom Covid-Koma zum Romanerfolg

2020 erkrankte der Schweizer Schriftsteller Jonas Lüscher schwer an Covid-19. Die Infektion kostete ihn beinahe das Leben. Fünf Jahre später spricht er über verpasste Chancen und unerschrockenes Schreiben.

«Es muss am 15. März gewesen sein, da habe ich mich angesteckt», erinnert sich Jonas Lüscher. An diesem Sonntag im Jahr 2020 half der gebürtige Berner an den Regionalwahlen in München als Stimmenzähler. Kurz darauf machten sich erste Symptome bemerkbar. Im Spital diagnostizierten die Ärzte eine Lungenentzündung. Lüschers Zustand verschlechterte sich rapide und er wurde ins Koma versetzt.

Nach dem Aufwachen aus dem Koma musste irgendwie zurück ins Leben finden.

Sieben Wochen lang hielten ihn Maschinen und modernste medizinische Technik am Leben. Eine Erfahrung, die später in seinem Roman «Verzauberte Vorbestimmung», der Anfang Jahr erschienen ist, Eingang gefunden hat.

Traumabewältigung

Der Literarisierung seiner Covid-Erkrankung ging jedoch ein langer Prozess voraus. «Nach dem Aufwachen aus dem Koma folgte bald eine Reha und ich musste irgendwie zurück ins Leben finden», erzählt Lüscher.

Zur Regeneration nach dem Koma gehörte nicht nur Muskelaufbau, sondern auch eine Traumatherapie. Sie sei notwendig gewesen, um insbesondere die albtraumhaften Delirien während der Aufwachphase aus dem Koma zu verarbeiten.

Jonas Lüscher – Ein Berner in München

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Jonas Lüscher (geb. 1976 in Zürich) wuchs in Bern auf. Nach einer Lehrerausbildung übersiedelte er nach München, wo er erst als Dramaturg tätig war.

Sein Erstling «Frühling der Barbaren» wurde für den Deutschen und für den Schweizer Buchpreis nominiert. Lüscher erhielt mehrere Auszeichnungen; für seinen zweiten Roman «Kraft» wurde er 2017 mit dem Schweizer Buchpreis geehrt.

Lesetipps und weiterführende Links finden Sie in unserem Autorenporträt zu Jonas Lüscher.

Heute geht es Lüscher gut. «Die Lunge ist zwar etwas vernarbt, aber ich hatte viel Glück und die Erkrankung hat keine bleibenden Schäden hinterlassen.»

Verpasste Chancen

Jonas Lüscher hat sich intensiv mit seiner Covid-Erkrankung auseinandergesetzt. Die Öffentlichkeit hingegen habe es verpasst, die Pandemie aufzuarbeiten, findet der Schriftsteller.

Mann mit Brille und Bart in blauem Hemd.
Legende: Jonas Lüscher bestärkt die Solidarität während der Pandemie bis heute. KEYSTONE/Christian Beutler

«Wir haben Angst, dass eine kritische Auseinandersetzung mit der Covid-Politik für eine ganz andere politische Agenda benutzt werden würde. Nämlich für die grosse Abrechnung, die sich manche Menschen wünschen.» Die Befürchtung, all jenen in die Hände zu spielen, die staatliche Institutionen grundsätzlich und undifferenziert anprangern, verhindere konstruktive Kritik, findet Lüscher.

Plötzlich redeten wir nicht mehr über den Wert der Wirtschaft, sondern über den Wert des Menschenlebens.

Dabei müsste darüber geredet werden, welche Massnahmen damals richtig waren und welche nicht. Und welche sozialen Folgen die Pandemie vor allem für junge Menschen hatte. Das nicht zu tun, sei «nicht nur eine verpasste Chance, sondern verdammt risikoreich», sagt Lüscher. Denn die nächste Pandemie werde kommen.

Mehr Solidarität statt weniger Küsschen

Die Zeit an die «ausserordentliche Lage» empfindet Lüscher aber gar nicht nur als unangenehme Krise: «Bevor ich ins Koma gelegt wurde, gab es eine Aufbruchstimmung und wir redeten plötzlich nicht mehr über den Wert der Wirtschaft, sondern über den Wert des Menschenlebens.»

Nach Lüschers Erwachen aus dem Koma sei davon zwar nur noch wenig zu spüren gewesen und «alle wollten nur noch möglichst schnell zurück zum Status Quo vor Corona. Aber insgesamt beinhaltetet die Pandemie doch auch Momente grosser Solidarität.»

Bunte Nachbarschaftstafel mit kunstvollen Verzierungen und Fahrrädern im Hintergrund.
Legende: Solidarität in der Nachbarschaft und in der ganzen Gesellschaft wurde gerade zu Beginn der Pandemie grossgeschrieben. «Corona-Nachbarschaftstafel» in Zürich (2. April 2020). KEYSTONE/Christian Beutler

Es gebe zwar Widerstand gegen diese positive Erzählung und sie werde überdeckt von «Querdenkerdiskussionen», sagt Lüscher. Ihn bestärke die Solidarität in der Pandemie aber bis heute, weil sie gezeigt habe, wie wichtig Freundschaften, Nachbarschaftshilfe und enge Beziehungen sind.

Heute ist in Lüschers Leben vieles wieder wie vor dem Shutdown. Was er aber noch immer vermisse, sei der alltägliche Körperkontakt: «Ich mag Händeschütteln, Umarmungen und auch die drei Küsschen, die man sich in der Schweiz gibt. Mittlerweile umarmt man sich aber weniger, manchmal gibt man sich gar nicht mehr die Hand und die Küsschen sind fast ganz verschwunden.»

Eine befremdliche Rolle

In den letzten fünf Jahren trat Jonas Lüscher vor allem als Gegenstimme zu Corona-Leugnerinnen und Massnahmenkritikern in der Öffentlichkeit auf. Viele Medien stilisierten ihn als «prominenten Überlebenden». Für den Schriftsteller eine befremdliche Rolle.

«Ich hätte oft gerne geschwiegen. Aber ich hatte das Gefühl, dass es wichtig war, zu reden. Viele Leute sagten mir, dass es wahnsinnig hilfreich gewesen sei, eine Geschichte wie meine zu hören. Es gab aber auch Reaktionen, die für mich und meine Familie nicht leicht zu ertragen waren.»

Cyborg- oder Corona-Roman?

Mittlerweile drehen sich Interviews mit Jonas Lüscher vor allem um sein neues Buch. Sein dritter Roman «Verzauberte Vorbestimmung» ist im Februar erschienen und verhandelt auf komplexe Weise das Verhältnis von Mensch und Maschine. Mit dem Schreiben hat Lüscher bereits vor der Pandemie begonnen. Später flossen Erfahrung seiner Covid-19-Erkrankung mit ein.

«Ich habe ein technisch-skeptisches Buch geschrieben. Da wäre es intellektuell nicht redlich gewesen, zu unterschlagen, dass ich mein Leben komplett der Technologie zu verdanken habe.»

Medizinisches Personal behandelt Patienten im Krankenhauszimmer.
Legende: Medizinisches Personal in einer der Intensivstation in Neuenburg zu Beginn der Corona-Pandemie. (23. März 2020) KEYSTONE/Jean-Christophe Bott

Im Roman schreibt Lüscher von seinem Koma-Delirium und vergleicht seinen Zustand mit dem eines Cyborgs, weil er derart von Maschinen abhängig war. Ein Corona-Roman ist «Verzauberte Vorbestimmung» aber nicht. Lüschers Krankheitsgeschichte macht nur einen kleinen Teil des Buches aus. Dieser Teil ist aber so persönlich, wie Lüscher bisher noch nie geschrieben hat.

Mutige Literatur

«Die Erfahrung, ganz knapp überlebt zu haben und mich ins Leben zurückkämpfen zu müssen, verändert das Schreiben. Es hat mich zu einem mutigeren Menschen und Schriftsteller gemacht.»

Person hält Drink während Videoanruf auf Laptop.
Legende: Die Pandemie und die Shutdowns mit dem Social Distancing haben Spuren hinterlassen. Über die sozialen Folgen müsse gesprochen werden, meint Lüscher. KEYSTONE/Anthony Anex

Nie zuvor habe Jonas Lüscher so intensiv ins eigene «Dickicht des psychischen Zustandes» geblickt. «Diesen Mut hatte ich davor nicht und es hat gutgetan, darüber zu schreiben», sagt Lüscher. «Es war aber wichtig, eine Weile damit zu warten, um Distanz zu gewinnen.»

Das empfiehlt er sowieso allen, die über eigene Pandemie-, Post-Corona- oder Long-Covid-Erfahrungen schreiben. «Es macht gar nichts, wenn man sich dafür etwas Zeit lässt.» In Zukunft werde Corona in der Literatur aber sicher vermehrt eine Rolle spielen, davon ist Lüscher überzeugt.

Buchhinweis

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Jonas Lüscher: «Verzauberte Vorbestimmung». Hanser, 2025.

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