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Fünf Jahre Corona Die Auszeit entpuppte sich als Albtraum: wie ich damit umging

Im März 2020 kam es in der Schweiz zum ersten Corona-Shutdown. Für unsere Autorin fühlte sich das Daheimbleiben-Müssen anfangs nach Freiheit an. Dann wurde es zur Falle.

Als Ende 2019 von einem ansteckenden Virus in China berichtet wurde, ahnte ich noch nicht, wie sehr sich mein eigenes Leben demnächst verändern würde. Ich war 21 Jahre alt, hatte gerade mein zweites Studienjahr an der Universität Zürich begonnen und wohnte rund 60 Kilometer von der Uni entfernt bei meinen Eltern.

Anfangs empfand ich die Schutzmassnahme als Segen.

Als sich die Situation auch hier zu einem Shutdown verschärfte und es hiess, wir sollen zuhause bleiben, empfand ich die Schutzmassnahme als Segen.

Fabienne Burgert

Ehemalige «Kulturplatz»-Praktikantin

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Fabienne Burgert hat in Zürich Populäre Kulturen und Filmwissenschaft studiert und war für ein halbes Jahr als Praktikantin beim «Kulturplatz» tätig.

Eine willkommene Auszeit von den unbequemen Vorlesungssälen, dem stressigen Hin- und her zwischen den Uni-Standorten innerhalb Zürichs und dem zeit- und nervenraubenden Pendeln zu Stosszeiten.

Illustration von junger Frau am Laptop, vor sich Papier und Stift.
Legende: In Ruhe zuhause lernen, studieren, arbeiten: Für viele war das anfangs angenehm. Doch je länger die Shutdowns wurden, desto mehr überwogen die Nachteile. (Symbolbild) Getty Images/Westend61

Meinen Uni-Alltag komplett remote gemütlich von zuhause zu erleben, erschien für mich als introvertierte, schnell reizüberflutete Person wunderbar. In der folgenden, anhaltenden Isolation, Einsamkeit und Eintönigkeit lauerte aber eine Gefahr. Sie verwandelte den anfänglichen Segen in einen Albtraum, dem nicht einfach zu entkommen war.

«The Shining» lässt grüssen

Als der Shutdown verordnet wurde, fühlte ich mich anfangs wie Jack Torrence aus dem Film «The Shining». Mit glühenden Augen und einem verschmitzten Lächeln sieht er den ruhigen Monaten entgegen, die ihn als Hausmeister in einem abgelegenen Hotel erwarten. Die ideale Umgebung, um ungestört an seinem Schreibprojekt zu arbeiten. Keine Menschenseele in Sicht, abgesehen von seiner Familie, die ihm am Herzen liegt.

Von Langeweile war erst einmal keine Spur.

So wurde ich von einer ähnlichen Euphorie gepackt und freute mich über die geschenkte Zeit, die es mir ermöglichte, jegliche Serien und Filme zu schauen, Bücher zu lesen und Videospiele zu spielen, Yoga zu machen oder einen Kräutergarten anzupflanzen. Von Langeweile war erst einmal keine Spur.

Tisch mit Notizbüchern, Zitronen, einer Pflanze und Früchten.
Legende: Endlich kreativ sein, zeichnen, eine neue Sprache lernen – oder Bananenbrot backen: die Shutdowns brachten zusätzliche Freizeit. Getty Images/Dusan Stankovic

Die Möglichkeiten schienen schier endlos. Auch sehr zeitintensive Hobbys wie das Zeichnen und Malen fanden ihren Weg zurück in meinen Alltag. Inmitten der Pandemie hatte ich ein kleines, limitiertes Paradies und war glücklich.

Mit dem Wegfallen des Pendelns und somit des Frühaufstehens, hinderte mich nichts mehr daran, meine Kreativität bis in die frühen Morgenstunden auszuleben und in der Stille der Nacht leidenschaftlich Stift, Marker und Pinsel zu schwingen.

Der Horror beginnt

Doch der Uni-Alltag zuhause war gefährlich bequem geworden. Mittlerweile konnte ich mir das tägliche Pendeln nach Zürich und den Unterricht vor Ort, wie er vor der Corona-Pandemie war, fast nicht mehr vorstellen. Beim Gedanken, meine persönliche Oase, meinen friedlichen Raum, wo ich mich ausleben und trotzdem jederzeit zurückziehen konnte, jeweils für längere Zeit verlassen zu müssen, wurde mir unwohl zumute.

Illustration einer Frau, die am Bettrand sitzt und ihren Kopf auf ihre Arme stützt
Legende: Isoliert in den eigenen vier Wänden, gefangen in monotonen Abläufen: Die Schutzmassnahmen wurden zunehmend zur Belastung. Getty Images/Dusan Stankovic

Statt vor dem ansteckenden Virus hatte ich in meiner Zurückgezogenheit begonnen, mich vor unberechenbaren sozialen Interaktionen und dem Verlassen des sicheren, kontrollierten Daheims zu fürchten.

Ausflüge wurden von Herzrasen, Schwindel und Atemnot begleitet.

Menschenmassen und grosse, unübersichtliche Räume konnten auch zuvor schon Unbehagen in mir auslösen. Doch nun hatte sich dieses Gefühl verstärkt. Ausflüge nach Zürich, zum Beispiel, um ein Buch für eine Seminararbeit auszuleihen, wurden von Herzrasen, Schwindel und Atemnot begleitet.

In meinen Alltag hatte sich inzwischen eine Trägheit eingeschlichen, die sich kaum mehr abschütteln liess. Immer der gleiche Tagesablauf, die gleichen vier Wände, die gleichen Gesichter aus der Familie, immer die gleichen Nachrichten.

Ein Tag war wie jeder andere, und ich verlor jegliches Zeitgefühl. Etwas wirklich Neues gab es nicht zu entdecken, es fehlte mir an Stimulation. Ich fühlte mich gefangen in einer endlosen Spirale. Vorerst war kein Ende in Sicht.

Einmal mehr fühlte ich mich wie Jack Torrence und seine Familie in «The Shining», die die konstante Einsamkeit und Eintönigkeit in ihrem Hotel allmählich in den Wahnsinn und die Verzweiflung treibt.

Aus dem anfänglichen Segen und der Freude über mehr Freiheit war ein isolierender Albtraum geworden, von dessen Nebenwirkungen es kein simples «Aufwachen» mehr gab.

Es half mir ungemein, meine Ängste nicht im Alleingang bewältigen zu müssen.

Fünf Jahre sind nun seit dem ersten Shutdown vergangen und die Spuren der Corona-Pandemie verblassen nach und nach. Fünf Jahre, in denen ich mich dafür entschieden hatte, mich Schritt für Schritt meinen Ängsten zu stellen und zu lernen, mit ihnen umzugehen. Ein langer, holpriger und unübersichtlicher Weg, freiwillig und doch notwendig, um als junge Erwachsene im Leben weiterzukommen.

Schritt für Schritt aus dem Schneckenhaus

Ein Weg, den ich glücklicherweise nicht allein beschreiten musste: Meine engsten Freunde und meine Familie standen mir mit Geduld und Vertrauen zur Seite. Es half mir ungemein, den Umgang mit für mich angstauslösenden Situationen nicht gänzlich im Alleingang bewältigen zu müssen.

Zwei Frauen mit Kaffeebechern in der Hand, draussen im Park vor einem Gebäude und einem Baum
Legende: So sahen soziale Kontakte am Anfang der Corona-Pandemie aus: nur unter freiem Himmel oder in Kleinstgruppen. Für manche zog das psychische Probleme nach sich. Getty Imgages/Amr Bo Shanab

So wurden meine beste Freundin, mein Partner oder meine Schwester immer wieder zu Ankern, die verhinderten, dass ich mich von den Wellen der Angst mitreissen liess. Sie begleiteten mich nach draussen, zu Events, und ihre Präsenz beruhigte mich.

Die Befreiung

So fand ich beispielsweise das erste Mal den Mut, mit einer Freundesgruppe die Fantasy Basel zu besuchen. Eine riesige Messe, die zwar unzählige meiner Interessen vom Zeichnen bis zum Videospiele-Spielen abdeckt, mich aber aufgrund der grossen Menschenmassen und dem Unwissen, wie ich mit der lärmerfüllten, reizüberflutenden Situation zurechtkommen würde, abgeschreckt hatte.

Der Besuch auf dem Popkulturfestival entpuppte sich aber – anstelle eines Albtraums – zum farbenfrohen Highlight des Jahres. Es war hauptsächlich von positiven Gefühlen wie Spass und Freude gekennzeichnet. So schaffte ich es, auch künftigen Herausforderungen mit mehr Zuversicht und Vertrauen in mich selbst zu begegnen.

Die seltsame Zeit der Pandemie hat mir gezeigt, wie wichtig es sein kann, sich aus dem behüteten Schneckenhaus zu trauen.

Durch diverse solche «Erfolgserlebnisse» gewöhnte ich mich langsam wieder an das Alltagsleben – zuerst in Begleitung, dann auch allein – ohne dabei der Angst die Oberhand zu überlassen.

Die seltsame Zeit der Pandemie hat mir gezeigt, wie wichtig es sein kann, sich aus dem behüteten Schneckenhaus zu trauen und den Mut aufzubringen, auch auf unbekanntem Terrain Fuss zu fassen und neue Dinge auszuprobieren.

So gemütlich dieses metaphorische Schneckenhaus auch sein konnte: Langfristig lauerte darin eine erdrückende Monotonie und Dunkelheit, die ich nur mit dem Schritt nach draussen überwinden konnte.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 11.3.2025, 7:06 Uhr

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