Vor fünf Jahren erreichte die Covid-Pandemie die Schweiz. Zuerst gefordert war das Tessin. Mittendrin war der Tessiner Kantonsarzt Giorgio Merlani. Im Interview blickt er zurück und sagt, wie man sich auf drohende neue Krankheitserreger vorbereitet.
SRF News: Wären wir auf eine neue Pandemie vorbereitet, wären wir parat?
Giorgio Merlani: Was heisst vorbereitet sein? Kann man das überhaupt sein bei einer Pandemie? Die Auswirkungen einer neuen Pandemie wären sicher aus psychologischer Sicht sehr schwierig. Denn wir haben erst gerade eine Pandemiephase hinter uns, eine erneute Pandemie wäre deshalb verheerend.
Wir haben aber auch eine ganze Reihe von Erkenntnissen gewonnen. Diese werden in die neuen Pandemiepläne einfliessen. Es gibt viele Aspekte, die wir aus der letzten Krise gelernt haben und die relevant für die Zukunft sein werden.
Was hat man denn konkret gelernt aus der Pandemie?
Vieles, vor allem, was die Datenerhebung betrifft. Die epidemiologische Überwachung, die während dieser Phase stattgefunden hat, war aussergewöhnlich.
Wir haben in einer unglaublichen Geschwindigkeit Impfstoffe produziert.
Wir haben nun Daten, wie die Inzidenz, wir haben die Anzahl der Fälle für verschiedene Regionen, wir haben die ständige Überwachung der Abwasser. Wir haben eine ganze Reihe von Informationen, die wir vorher noch nie hatten. Und wir haben in einer unglaublichen Geschwindigkeit Impfstoffe produziert und an die Bevölkerung verteilt, was vor 2020 undenkbar war.
Welche Fehler hat man gemacht?
Einen Fehler zu machen bedeutet doch eigentlich, man macht etwas falsch im Bewusstsein, dass es falsch ist. Während der Pandemie fällte man jedoch Entscheide, welche sich erst im Nachhinein als nicht richtig herausgestellt haben.
Die Pläne basierten auf einer Grippe. Das ist etwas anders als das Coronavirus.
Das war ja auch die grösste Herausforderung der Pandemie. Schnell zu handeln und Entscheidungen zu treffen und eine ganze Reihe von Dingen umzusetzen, obwohl man im Moment nicht über die nötigen Informationen verfügte. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Der Hauptfehler, der bei dieser Pandemie gemacht wurde, ist, dass man sich auf die Pläne verlassen hatte, die wir vorher hatten. Die Pläne basierten auf einer Grippe. Eine Grippe ist aber etwas anderes als das Coronavirus.
Man ist jetzt an einem neuen Pandemieplan. Bis wann ist der fertig?
Ende März, Mitte April sollten wir mit der Überarbeitung fertig sein. Im Sommer wird der Plan dann veröffentlicht. Aber ich warne vor zu grossen Erwartungen. Der Pandemieplan ist eine Sammlung von Erfahrungen, die angepasst und weiterentwickelt wurden. Eine Liste von Dos and Don'ts in einer Krise.
Wäre Ihrer Meinung nach die Bevölkerung heute wieder bereit, all die Vorschriften zu befolgen: Impfungen, Masken, Abriegelungen?
Das weiss ich nicht. Das müsste man die Bevölkerung fragen. Aber ich glaube, dass die Leute sich informieren, wenn sie sehen, was los ist. In westlichen Demokratien haben die Gesundheitsbehörden die Interessen der Bevölkerung im Auge. Deshalb glaube ich, dass die Menschen die Risiken ihres Tuns selbst abwägen können. Ich bin da im Grossen und Ganzen recht optimistisch.
Sie waren während der Pandemie mittendrin. Was haben Sie persönlich aus dieser Zeit gelernt?
Ich habe gelernt, dass Krisen viel dazu beitragen, sich weiterzuentwickeln. Aus technologischer Sicht, aus sozialer Sicht, aus organisatorischer Sicht, aus der Sicht der Kommunikation. All dies können wir mitnehmen, um die nächste Krise zu bewältigen.
Das Gespräch führte Claudia Iseli.