Es war eine kleine Studie mit grosser Wirkung: 2015 befragte die israelische Soziologin Orna Donath 23 Mütter zu ihren Gefühlen. Sie alle erklärten, sich in ihrer Mutterrolle gefangen zu fühlen. Das Schlagwort «Regretting Motherhood» machte daraufhin die Runde – das Bereuen, Mutter geworden zu sein. Seither sprechen Frauen offener über die Tiefen des Mutterseins.
Auch literarisch wird das Thema inzwischen öfter aufgegriffen. Im aktuellen Frühjahrsprogramm der Verlage gibt es gleich mehrere Bücher über das mühevolle Dasein als Mutter. Drei davon stellen wir hier vor.
Christina Wessely: «Liebesmühe»
Eine Frau, die gerade ein Kind geboren hat. Sie bekommt zahlreiche Glückwunschkarten. Ihre Bekannten schreiben, sie müsse diese Zeit geniessen. Die Mutter weiss: «Eigentlich sollte ich überglücklich sein.» Doch sie ist es nicht.
Das ist die Ausgangslage in «Liebesmühe» von Christina Wessely. Das Buch der österreichischen Autorin ist eine Mischung aus Erfahrungsbericht, Essay und Sachbuch. Was sie beschreibt, hat sie in weiten Teilen selbst durchlebt. Trotzdem schreibt sie nicht in Ich-Form, sondern berichtet in der dritten Person von einer Frau, bei der sich nach der Entbindung einfach keine Glücksgefühle einstellen wollen.
Die beschriebene Mutter hat keinen sogenannten Babyblues – also kein Hormon-Tief, das von allein wieder abklingt. Nein, ihre Kraft schwindet zusehends. Schliesslich die Diagnose: Postpartale Depression, eine komplexe psychische Erkrankung, die behandelt werden muss.
Eindrucksvoll schildert Wessely die Symptome dieser Erkrankung, mitsamt dem Versuch, die Fassade aufrechtzuerhalten – und als glückliche Mutter wahrgenommen zu werden.
Slata Roschal: «Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten»
Keinen essayistischen, dafür einen hochliterarischen Zugang zum Thema «Mutterschaft» hat die deutsch-russische Autorin Slata Roschal gewählt. Ihr Buch mit dem langen Titel «Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten» ist Roschals zweiter Roman.
Darin geht es um eine Mutter von zwei Kindern. Wie im Erfahrungsbericht von Christina Wessely leidet auch die Erzählerin in diesem Buch an den sozialen Erwartungen, die an sie gestellt werden. Sie schildert zudem das unnötige Konkurrenzdenken von Müttern untereinander und ihre zwiespältigen Gefühle: Sie liebt ihre Kinder. Aber es genügt ihr nicht, ausschliesslich Mutter zu sein.
Es passiert nicht viel in diesem Roman. Trotzdem entwickelt er wegen seiner hastig fliessenden Gedanken einen Sog. Slata Roschal ist ein beeindruckendes Sprachkunstwerk gelungen.
Stefanie de Velasco: «Das Gras auf unserer Seite»
Die Autorin Stefanie de Velasco ist in Deutschland als Kind spanischer Einwanderer aufgewachsen. Ihr neuer Roman handelt von drei Freundinnen in Berlin. Einen Kinderwunsch hat keine von ihnen je verspürt. Was sie hingegen spüren, ist die Erwartungshaltung der Gesellschaft an sie. Immer wieder müssen sie Stellung dazu beziehen, ob sie nicht endlich einmal Kinder kriegen wollen.
Und dann wird eine der Frauen tatsächlich schwanger. Wird sie das Kind behalten? Das ist eine der Fragen, um die sich der Roman dreht.
«Das Gras auf unserer Seite» lebt von seinem schnoddrigen, berlinerischen Ton. Er ist ein literarisches – und zugleich sehr unterhaltsames – Beispiel dafür, wie sich Frauen permanent zum Muttersein verhalten müssen. Stefanie de Velasco sucht in diesem Roman nach anderen sinnstiftenden Lebensmodellen abseits der klassischen Kernfamilie.