Auch nach dem Scheitern der Konzernverantwortungs-Initiative am Ständemehr ist Rudolf Strahm überzeugt: Das Thema wird die Schweiz weiter beschäftigen.
SRF News: Die Schweizer Stimmbevölkerung gewichtete in der Mehrheit die Menschenrechte und den Umweltschutz höher als die Wirtschaft. Überrascht Sie das?
Rudolf Strahm: Ich habe auf ein Volksmehr gehofft, aber nicht damit gerechnet, dass das Ständemehr erreicht werden kann. Trotzdem: Das Zustandekommen des Volksmehrs ist eine politische Sensation. Für die Befürworter war mit einer Zustimmung kein materieller Gewinn verbunden, es ging nur um ideelle Werte. Das zeigt, dass ein grosses ethisches Verantwortungspotenzial in der Bevölkerung vorhanden ist.
Bezeichnend auch: Es gab ein bürgerliches pro-Komitee mit 500 Politikerinnen und Politikern, ein anderes bestand aus 300 KMU-Vertretern. Die Vorlage ging also nicht wirklich gegen die Wirtschaft. Persönlich bin ich über die massive Mobilisierung der vielen Freiwilligen in der Pro-Kampagne erstaunt.
Ist es den Initianten also gelungen, ein neues Thema zu lancieren, das uns noch länger beschäftigen wird?
Das Thema der grenzüberschreitenden Konzernverantwortung wird tatsächlich nicht so schnell wieder verschwinden. Möglicherweise treiben sogar internationale Trends die Konzerne jetzt vor sich her. So beschäftigen sich die EU oder die G20 mit dem Thema, bei den Banken ist es bereits etabliert. Vielleicht ist das sogar der historisch grössere Erfolg der jahrelangen Konzernverantwortungs-Kampagne als es das Volksmehr vom Sonntag ist.
Für das Ständemehr reichte es nicht – war das Ziel der Konzernverantwortungs- Initiative zu hochgesteckt?
Die Initiative wurde 2011 von gestandenen Persönlichkeiten wie alt Ständerat Dick Marty (FDP) oder dem früheren IKRK-Präsidenten Cornelio Sommaruga lanciert. Sie wussten wohl, dass sie das Kantonsmehr nicht gewinnen können. Doch sie wollten ein Thema, das für die Schweiz derart wichtig ist – 24'000 Konzerne haben ihren Sitz hier – thematisieren. Sie wollten, dass die Schweiz dem Thema nicht nachrennen muss, wenn entsprechende Forderungen vonseiten der EU oder der G20 kommen. Ich nehme deshalb an, dass heute auch die Initianten mit dem erreichten Volksmehr vorerst zufrieden sind.
Die Initianten wollten, dass die Schweiz dem Thema nicht nachrennen muss, wenn Forderungen aus dem Ausland kommen.
Klar, das Ziel war sehr hochgesteckt, aber es gibt in der Schweiz ja keine andere Möglichkeit als eine Volksinitiative, die ein Ständemehr verlangt – auf eidgenössischer Ebene gibt es keine Gesetzesinitiative. Andererseits haben in der Vergangenheit viele Volksinitiativen politisch etwas ausgelöst, auch wenn sie an der Urne abgelehnt wurden. Und im aktuellen Fall wissen selbst Konzernchefs und der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, dass sie nicht verhindern können, dass dereinst eine grenzüberschreitende Konzernhaftung eingeführt wird. Wenn wir es nicht selbst tun, wird uns das Ausland dazu zwingen – wie beim Bankgeheimnis.
Konzerne wollen im Zweifelsfall womöglich lieber in der Schweiz vor Gericht erscheinen als im Ausland.
Kann das Anliegen vielleicht etwas wirtschaftsfreundlicher umgesetzt werden?
Ich denke, dass die Konzerne im Zweifelsfall lieber vor einem Schweizer Gericht erscheinen als vor einem im Ausland. Deshalb kann ich mir vorstellen, dass die Konzerne schon bald eine entsprechende Gesetzesregelung erwarten. Auch werden die NGOs am Thema dranbleiben. Sie planen offenbar, Musterklagen einzureichen, um aufzuzeigen, dass die jetzige gesetzliche Regelung nicht genügt. So könnte der politische Wille in Bern womöglich dahin gehend befördert werden, dass eine grenzüberschreitende Haftung nötig ist.
Das Gespräch führte Claudia Weber.