Organe spenden? In Befragungen ist es mehrheitlich ein Ja, am Spitalbett dann aber meist ein Nein: In über 60 Prozent der Fälle entscheiden die Angehörigen gegen die Entnahme der Organe, weil sie den Willen der verstorbenen Person nicht kennen.
Neu: die «vermutete Zustimmung»
Hier setzt das revidierte Transplantationsgesetz an. Die Berner SP-Nationalrätin Flavia Wasserfallen vom Ja-Komitee erklärt: «Wir sind der Meinung, dass es einen psychologischen Unterschied macht, wenn wir von einer vermuteten Zustimmung ausgehen. So sollte die Ablehnungsrate gesenkt werden können.» Eine tiefere Ablehnungsrate würde entsprechend mehr Spende-Organe bedeuten.
Doch auf der Gegenseite kontert Alex Frei, Arzt und Co-Präsident des Nein-Komitees: «Der wissenschaftliche Beweis, dass die Widerspruchsregelung zu einer höheren Spenderate führt, konnte bis heute nicht erbracht werden.»
Der wissenschaftliche Beweis, dass die Widerspruchsregelung zu einer höheren Spenderate führt, konnte bis heute nicht erbracht werden.
«Hinweise» auf positiven Effekt
Das zeigen auch Studien im Auftrag des Bundes. Eine dieser Untersuchungen erkennt lediglich «Hinweise», dass das Widerspruchsmodell die Spenderate positiv beeinflussen könnte.
Gesundheitspolitikerin Wasserfallen betont, dass eine eindeutige Korrelation von Widerspruchsmodell und Spenderate nie behauptet worden sei: «Aber die Willensäusserung ist ein wichtiges Puzzle-Teil, wenn es um die Organspende geht.»
Die Willensäusserung ist ein wichtiges Puzzle-Teil, wenn es um die Organspende geht.
Der Blick ins europäische Ausland zeigt: Die Länder mit den höchsten Spenderaten – Spanien, Frankreich und Italien – haben zwar eine Widerspruchslösung, doch vergleichen lassen sich die Gegebenheiten nicht. Auch das zeigen die Daten, die der Bund zusammengetragen hat.
Ethikerin Ruth Baumann-Hölzle befasst sich seit langem mit dem Thema. Am Beispiel Spanien mit den höchsten Spendenraten in Europa erklärt sie, was oft unerwähnt bleibt: «So gibt es etwa finanzielle Anreize fürs Spitalpersonal, wenn es Spenderinnen und Spender identifiziert. Ebenso wird bei der Zertifizierung berücksichtigt, wenn ein Spital Organentnahmen durchführt.»
Grundlegende Einwände gegen Widerspruchslösung
Die Ethikerin lehnt die Widerspruchslösung ab und engagiert sich im Gegenkomitee. Ihre Einwände sind grundlegend und staatspolitisch: «Normalerweise gehen wir davon aus, dass Menschen gefragt werden müssen, wenn man von ihnen etwas will oder etwas von ihnen nimmt. Gerade am Lebensende – urteilsunfähig auf einer Intensivstation – soll das alles nicht mehr gelten. Das ist schon sehr stossend.»
Für das Nein-Komitee gefährdet die erweiterte Widerspruchslösung das Recht auf Unversehrtheit des Körpers, wie es die Bundesverfassung garantiert: «Das Hauptproblem dabei ist, dass man in Kauf nimmt, dass Menschen Organe entnommen werden, die das unter Umständen nicht gewollt hätten.»
Man nimmt in Kauf nimmt, dass Menschen Organe entnommen werden, die das unter Umständen nicht gewollt hätten.
Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) hält entgegen, dass die Persönlichkeitsrechte bestmöglich gewahrt würden und die Grundrechte durch den Paradigmenwechsel nicht gefährdet seien: Fehle der persönliche Entscheid einer verstorbenen Person und könnten Angehörige nicht erreicht werden, dürften die Organe nicht entnommen werden.
Der Wechsel von der Zuspruchs- zur Widerspruchslösung bringt also nicht mit Sicherheit mehr Spendenorgane. Ob es dazu ein Ja oder ein Nein gibt, entscheidet die Stimmbevölkerung am 15. Mai.