Die Mitglieder des Bundesgerichts stünden zu sehr unter politischem Druck. Das ist ein zentrales Argument der Justiz-Initiative. Nahrung bekam diese Theorie im Herbst vor einem Jahr. Die Initiative war längst eingereicht. Die SVP schlug einen ihrer Richter nicht mehr zur Wiederwahl vor, weil er mehrmals nicht parteitreu geurteilt hatte.
Zwar wurde der Mann wiedergewählt, aber solche Manöver hätten dennoch eine Wirkung, ist Niccolò Raselli, Alt-Bundesrichter (SP), überzeugt. «Das Ziel solcher Drohgebärden ist, dass im Prozess der Entscheidungsfindung eben nicht nur Recht und Gerechtigkeit zum Tragen kommen, sondern der Druck der Partei gegenwärtig ist.»
Strafaktionen gab es schon früher, etwa in den 80er-Jahren, als konservative Politiker jenen Richtern bei der Wiederwahl die Stimme versagten, die gegen Kruzifixe in Schulzimmern geurteilt hatten. Politisch unter Druck fühlte man sich im Bundesgericht auch Anfang der 2000er-Jahre, als Christoph Blocher Justizminister war.
Blocher kritisierte die Arbeit des Bundesgerichts und wollte dort 20 Prozent einsparen. Alt-Bundesrichter Giusep Nay (CVP) erinnert sich. «In der Zeit, in der Christoph Blocher der Justizminister war, habe ich sehr gegen seine Angriffslüste angekämpft. Und ich glaube, auch mit Erfolg.»
Sowohl Nay als auch Raselli beteuern, persönlich nie einen direkten Einfluss ihrer Parteien gespürt zu haben. Gleiches sagt die ehemalige Bundesrichterin Ursula Nordmann (SP). «Überhaupt nicht. Wenn man etwas besprechen wollte mit einem Parteikollegen, dann rief man ihn an oder traf ihn. Aber das war kein Problem.»
Druckversuche und Strafaktionen scheinen also nicht die Regel zu sein. Aber sie kommen vor. Für Alt-Bundesgerichtspräsident Nay braucht es deswegen nicht unbedingt Regeländerungen, sondern politischen Gegendruck. «Politiker müssten den Mut haben, das klipp und klar zu verurteilen und als verfassungswidrig zu bezeichnen. Dieser Mut fehlt leider.»
Längere Amtszeit als Lösung?
Alt-Bundesrichterin Nordmann befürwortet dezidiert eine Massnahme, die politische Druckversuche unmöglich machen soll. Eine, die auch Teil der Justiz-Initiative ist. «Meines Erachtens ist die Wiederwahl das, was man ändern muss. Und zwar nicht, weil ich mich unter Druck fühlte. Aber es löst alle Probleme.»
Statt Wiederwahl nach sechs Amtsjahren nur eine einzige längere Amtszeit von 15, vielleicht 20 Jahren. So könnten die Politikerinnen den Richtern nicht mehr via Stimmzettel Noten verteilen. Auch Alt-Bundesrichter Raselli fände das sinnvoll.
Raselli hat überdies auch Sympathien für eine weitere Forderung der Justiz-Initiative: die Schaffung eines Fachgremiums, das die Kandidierenden prüft und zur Wahl vorschlägt. Die Hoffnung: So hätten neu auch Parteilose eine Wahlchance, weil «von einem fundierten Antrag der Evaluierungskommission das Parlament sich nicht ohne Not distanzieren könnte.»
Ich finde es nicht wünschenswert, dass Leute, die weder in einer Partei sein wollen noch können, gewählt werden, denn sie sind intransparent. Man weiss nicht, was man wählt.
Nordmann setzt ein grosses Fragezeichen hinter parteilose Richterinnen und Richter. «Ich finde es nicht wünschenswert, dass Leute, die weder in einer Partei sein wollen noch können, gewählt werden, denn sie sind intransparent. Man weiss nicht, was man wählt.»
Mit oder ohne Fachgremium: Der von den Initianten geforderten Wahl im Losverfahren können alle drei Alt-Bundesrichter gar nichts abgewinnen. Sie argumentieren, es würde nicht sichergestellt, dass das Bundesgericht dann ausgewogen zusammengesetzt wäre. Auch im Parlament gab es darum nur eine einzige Ja-Stimme zur Initiative und auch ein Gegenvorschlag fand keine Mehrheit.