Die Vorstellung vom bilateralen Weg als Königsweg formte sich, nachdem das Schweizer Volk 1992 den Europäischen Wirtschaftsraum EWR ablehnte und auch von einem EU-Beitritt nichts wissen wollte. Nur kleinere Schritte hätten eine Chance im Volk und seien kompatibel mit der direkten Demokratie.
Für CVP-Präsident Gerhard Pfister gilt das heute noch: «In der Schweiz ist der Souverän der König und hat sich für den bilateralen Weg entschieden. Auch sehe ich keine Alternative, die besser wäre.»
Pfister sieht den bilateralen Weg sogar als Souveränitätsgewinn: «Wir entscheiden souverän, welche Rahmenbedingungen wir unserer Wirtschaft geben und dass wir unserer Wirtschaft Zugang zu einem grossen Binnenmarkt geben wollen.»
Wir entscheiden souverän über die Rahmenbedingungen unserer Wirtschaft und über den Zugang zu einem grossen Binnenmarkt. Insofern sehe ich es nicht als Souveränitätsverlust.
Diese Aussage mag überraschen, ist doch in der heutigen Debatte der bilaterale Weg für viele mit Souveränitätsverlust verbunden, weil die Schweiz EU-Regeln übernehmen muss.
Der bilaterale Weg als Mittel zum Zweck
Es gebe neben dieser formalen Souveränität des letzten Wortes auch eine andere Konzeption, sagt der frühere Handelsdiplomat Thomas Cottier und verweist auf die Väter der Souveränitätstheorie wie Bodin oder Rousseau. Ihnen gehe es letztlich bei der Souveränität um die Sicherung der Wohlfahrt und des Wohlstands der Bevölkerung: «Es kommt nicht so sehr darauf an, wer das letzte Wort hat, sondern welche Wirkungen erzielt werden.»
Es kommt nicht so sehr darauf an, wer das letzte Wort hat, sondern welche Wirkungen erzielt werden.
Cottier befürwortet zwar einen Beitritt der Schweiz zur EU, ist aber wie Pfister überzeugt, dass der bilaterale Weg die Souveränität stärkt – als Mittel zum Zweck der Wohlstandssicherung.
SVP: Kontingente statt Personenfreizügigkeit
«Das Personenfreizügigkeitsabkommen verletzt die Souveränität am meisten. Denn damit gab die Schweiz 500 Millionen EU-Bürgern das Recht, in die Schweiz zu kommen, sagt SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi. Die Schweiz müsse mit Kontingenten wieder souverän entscheiden können.
Zum Umstand, dass so auch die anderen Abkommen der Bilateralen I fallen würden, sagt Aeschi: «Ich denke, die Schweiz könnte sehr gut ohne diese sechs bilateralen Abkommen leben. Keines ist wirklich relevant für die Handelsbeziehungen mit der EU.»
Die SVP weiss, dass eine Initiative praktisch chancenlos ist, die zu einem Wohlstandsverlust führen könnte. Sollten Probleme auftreten, könnte ja das Freihandelsabkommen von 1972 nachverhandelt werden, erklärt die Partei. Das sei illusorisch, sagt Cottier: «Die Bilateralen I sind Bausteine eines modernen Freihandelsabkommens.» Am Tag danach in Brüssel anklopfen und etwas im Sinn des EU-kanadischen Freihandelsabkommens auszuhandeln, gehe nicht.
«Wette mit dem Ungewissen»
Pfister bezeichnet die Begrenzungsinitiative als Wette mit dem Ungewissen. Die SVP nehme das Ende der Bilateralen I in Kauf, wisse aber nicht, was danach folge: «Insofern würden wir nichts gewinnen, aber sehr viel Rechtssicherheit verlieren.» Das halte er für zu riskant, und das wolle hoffentlich das Schweizer Volk nicht.
«Es liegt in der Natur der Sache, dass die Zukunft ungewiss ist. Aber man muss auch den Mut haben, gegenüber der EU etwas härter aufzutreten. Wir dürfen uns von der EU nicht mehr alles gefallen lassen», entgegnet Aeschi.
Es liegt in der Natur der Sache, dass die Zukunft ungewiss ist. Aber man muss auch den Mut haben, gegenüber der EU etwas härter aufzutreten.
Ein Ja zur Begrenzungsinitiative am 27. September wäre das Ende des bilateralen Königswegs, nicht aber das Ende der bilateralen Beziehung. Die Schweiz wird also bald auch entscheiden, welche Beziehung sie zur EU will und wie sehr sie auf deren Verhandlungswilligkeit setzt.