Eine Apotheke, eine Kapelle, ein Kino und Hunderte Meter Tunnel: Bei einem Zufallsflug über Grönland im April diesen Jahres haben Forschende des Nasa Earth Observatory eine Stadt wiederentdeckt, die 65 Jahre lang unter dem grönländischen Eis verborgen war: Das berühmte «Camp Century».
Diese US-Militärbasis verfügte gar über einen Kernreaktor, mit dem der gesamte Komplex beheizt und elektrifiziert wurde. Bis zu 200 Menschen lebten dort in völliger Autonomie.
Diese Woche hat die amerikanische Raumfahrtbehörde ein bisher unveröffentlichtes Radarbild publiziert, das während der wissenschaftlichen Mission im Frühjahr aufgenommen wurde. Auf einer riesigen dunklen Fläche sind nur wenige helle Flecken zu erkennen.
«Zuerst wussten wir nicht, was es war», sagt Alex Gardner, Kryosphärenspezialist bei der Nasa, laut einer Pressemitteilung. Es handelte sich dann aber tatsächlich um «Camp Century», ein Relikt des Kalten Krieges. Im Jahr 1959 bauten Ingenieure der US-Armee diese Militärbasis, die aus einem weitreichenden Netzwerk von Tunneln unter der Eisdecke bestand.
Das Geheimprojekt im «Geheim»-Projekt
Der gesamte Bau von «Camp Century» wurde gefilmt und die Bilder kurz danach veröffentlicht, um die technologische Überlegenheit der USA zu demonstrieren.
Wirklich «geheim» war die unterirdische Stadt somit damals nicht mehr. Ganz anders ein noch viel grösseres Militärprojekt, das mit «Camp Century» entstehen sollte. Für das sogenannte «Project Iceworm» sollten zusätzliche 4000 Kilometer lange Stollen gegraben sowie Rampen für etwa 600 nukleare ballistische Raketen installiert werden.
Als die Tunnel einstürzten
Doch 1967 wurde das «Iceworm-Projekt – und damit auch die unterirdische Stadt aufgegeben. Da die Polkappe in ständiger Bewegung war, bewegte sich die Eisschicht und wurde instabil. Die Tunnel stürzten ein. Deshalb beschlossen die USA, die gesamte Operation zu stoppen.
Nur den Kernreaktor nahm die Armee wieder mit, den Rest liess sie zurück: Materialien, Lebensmittel, Treibstoff, radioaktive Abfälle.
Im Jahr 2017 suchte eine wissenschaftliche Expedition den Standort auf. Die Spuren des Lagers an der Oberfläche waren verschwunden, über dem Tunnelsystem hatte sich über die Jahre eine 30-Meter-dicke Eisschicht gebildet. Aber Radarmessungen und Eisbohrungen bestätigten schon damals, dass es das Lager noch gab. Die Geschichte hätte dort enden können.
Doch durch die Klimaerwärmung könnten die chemischen und radioaktiven Abfälle von «Camp Century» an die Oberfläche gelangen. Nach Angaben von Forschenden handelt es sich dabei insbesondere um rund 200'000 Liter Diesel und 240'000 Liter Abwasser, von denen ein Teil schwach radioaktiv ist.
Wann damit zu rechnen ist, «bleibt schwer zu sagen», sagt Horst Machguth, Professor für Glaziologie an der Universität Freiburg, der an der Expedition 2017 teilnahm. Laut einer Studie aus dem Jahr 2016 könnte es im Jahr 2100 soweit sein.
Die Vorgänge haben unterdessen eine intensive Debatte zwischen der dänischen und der grönländischen Regierung über die Verantwortung für die mögliche Entsorgung der Abfälle ausgelöst. Ausgang offen.