Historikerinnen und Historiker der Universität Zürich haben erstmals das Ausmass der sexualisierten Gewalt in der römisch-katholischen Kirche der Schweiz untersucht: 1002 dokumentierte Missbrauchsfälle seit 1950. Eine Zahl, die aufrüttelt. Doch genug, um die Strukturen der Kirche zu ändern?
Ernüchterung und Optimismus
Die Debatte wurde eine Woche lang geführt und zeigt vor allem Ernüchterung: Knapp über 70 Prozent der Teilnehmenden denken, dass die Kirche die Fälle nicht aufarbeiten wird. So ist sich «dialog»-Userin C. P. sicher: «Der Staat sollte eingreifen, um diese kriminellen Handlungen und diejenigen zu bestrafen, die sie gedeckt haben. Dass viele Katholiken aus der Kirche austreten, wird keine Auswirkungen haben.»
Optimistischer ist «dialog»-Debatteur P. I., der daran erinnert, dass die Bischöfe diese Studie in Auftrag gegeben haben: «Weil sie möchten, dass Licht ins Dunkel gebracht wird und Straflosigkeit und Missbrauch ein Ende haben. Dies ist auch eine Aufforderung des Papstes an die lokalen Kirchen.»
User E. S. wünscht sich ebenso, dass man die progressiven Kräfte im Innern der Kirche unterstütze: «Sie existieren und man muss ihnen vertrauen.» Auch wenn die Kultur der römisch-katholischen Kirche schmerzhaft patriarchalisch, diskriminierend und in starkem Abstand zur Moderne sei, sagt E. S.
«Das Problem betrifft nicht nur die Kirche»
Patriarchalisch, diskriminierend und in starkem Abstand zur Moderne: Was bedeutet das konkret? «dialog»-User Turi R. spricht das Kirchenrecht an. Durch das bleibe «genügend Spielraum, um zu vertuschen und irgendwann in fünfzig Jahren werden sie die Akten für eine Untersuchung öffnen, damit die in der Zwischenzeit verstorbenen Täter nicht mehr bestraft werden können.» Eine weitere Userin ergänzt um das «Problem des Zölibats sowie der Stellung der Frau in der Kirche.»
Besonders das Zölibat ist der «dialog»-Community ein Dorn im Auge. Die Mehrheit findet, dass es hinterfragt werden muss. Wenige hingegen sehen es nicht als ausschlaggebend. Immerhin würden auch viele Singles ausserhalb der Kirche einen zölibatären Lebensstil führen. «Dass man deshalb eher Kirche missbrauche, ist einfach absurd und beleidigend.»
Missbrauch ist quer durch die gesamte Gesellschaft weit verbreitet und Gewalt etabliert. Da sind Aktionen gegenüber einzelnen Institutionen leider nur ein Tropfen auf den heissen Stein.
Solche Vergleiche mit der Situation ausserhalb der Kirchengemäuer haben viele Kommentierende gezogen. Ein Fazit der Debatte ist, dass es sich bei sexuellen Übergriffen und Machtmissbrauch um gesamtgesellschaftliche Phänomene handle, die nicht isoliert in der römisch-katholischen Kirche stattfinden – auch wenn sie dort strukturell besser vertuscht werden können.
So schreibt beispielsweise dialog»-Userin Anne E.: «Missbrauch ist quer durch die gesamte Gesellschaft weit verbreitet und Gewalt etabliert. Da sind Aktionen gegenüber einzelnen Institutionen, Einrichtungen und Personen zum Schutz der Betroffenen zwar bitter nötig, aber leider nur ein Tropfen auf den heissen Stein und ändern an Grundproblemen nicht wirklich etwas.»
In einem Punkt sind sich alle Userinnen und User einig: Es muss sich etwas ändern.