Joseph Maria Bonnemain eilt von einem Termin zum nächsten: Er steht Red und Antwort zu den Resultaten der wissenschaftlichen Untersuchung zu den Missbrauchsfällen in der römisch-katholischen Kirche. Und zur Voruntersuchung, die er zu den Vorwürfen gegen einige seiner Bischofskollegen leitet. Bonnemain verspricht rigorose Aufklärung.
Grosser Druck
«Ich spüre natürlich den Druck, sonst wäre ich nicht normal», sagt Bischof Bonnemain. Er spüre aber auch Rückhalt in der Bevölkerung. Bonnemain – ausgebildeter Chirurg – vergleicht die Missbrauchsfälle mit einem Krebsgeschwür in der Kirche. Ist er – als Teil davon – wirklich der richtige Chirurg, um den Krebs herauszuschneiden? «Ich kann einen Beitrag leisten, mehr nicht, das wäre eine Anmassung.» Er sei aber bereit, seinen Teil dazu beizutragen, eine Pinzette zu halten oder ein Pflaster zu kleben, um im Bild zu bleiben.
Zwischendurch findet Bischof Bonnemain Zeit für die Gläubigen. Er traut einen ehemaligen Schweizergardisten im Bündner Poschiavo. Der Bischof freut sich: «Jedes Mal, wenn ich die Liebe zwischen zwei Menschen besiegeln kann, macht mich das glücklich». Weil die Passstrasse gesperrt ist, lässt ihn die Hochzeitsgesellschaft gar per Helikopter einfliegen.
Wollte er selbst nie heiraten? «Natürlich, ich hatte fest vor, eine Familie zu gründen, mit meiner Freundin.» Dann habe er sich anders entschieden – und es nicht bereut. Trotzdem vermisse er manchmal die Zärtlichkeit eines anderen Menschen, fühle Einsamkeit. Deshalb versuche er möglichst viel unter Leuten zu sein. Für ihn ist klar: Das Zölibat ist nicht der Hauptgrund für die sexuellen Übergriffe in der Kirche, nur ein Faktor unter vielen.
Kameras unerwünscht
Ein paar Tage später: Bischof Bonnemain firmt junge Kirchenmitglieder in Dübendorf. Kameras sind unerwünscht, die Kirchgemeinde hat sich gar um einen Sicherheitsdienst bemüht. Denn die Kinder hatten Angst vor Anfeindungen, weil sie katholisch sind. Vor der Kirche wartet ein Mann, der wütend ist. Er sei selber von Missbrauch betroffen gewesen. Der Umgang der Kirche damit sei eine absolute Katastrophe.
«Ich bin da, um dem Bischof zu sagen: Handle!» Als Bischof sei er in erster Linie Jesus Christus verpflichtet, und nicht Rom. Der Bischof hört zu: «Wir müssen als gesamte Kirche handeln. Wenn wir das in der Schweiz im Alleingang tun, sind wir eine Sekte.»
Handeln statt reden
Viele Gläubige sind nach den Schlagzeilen zu den Missbrauchsvorfällen ernüchtert und wütend. Für den Bischof ist es eine heikle Mission. Er soll helfen, das Vertrauen in die Kirche wiederherzustellen.
Wird er die Menschen nicht wieder enttäuschen? «Ich weiss es nicht. Man braucht nicht Rhetorik, sondern muss handeln», so Bonnemain. Als Folge des Untersuchungsberichts hat die Bischofskonferenz Massnahmen beschlossen. Und bis Ende Jahr soll Bonnemains Voruntersuchung zu den Vertuschungsvorwürfen fertig sein.