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Über 1000 Missbrauchsfälle Deshalb bleiben junge Katholiken der Kirche treu

Nach dem Knall in der römisch-katholischen Kirche könnte die Zahl der Austritte steigen. Drei Junge erzählen, wieso sie bleiben.

Seit Bekanntwerden von über 1000 Missbrauchsfällen in den letzten 70 Jahren brodelt es in der römisch-katholischen Kirche. Der Theologe und Kirchenstatistiker Urs Winter geht von stark steigenden Austrittszahlen aus.

Nach wie vor gibt es junge Menschen, die trotz dieser gravierenden Verfehlungen der Kirche treu bleiben. Jonas, Mentari und Max erklären, warum.

Jonas Amherd (34): «Mir ist wichtig, dass die nötigen Konsequenzen gezogen werden.»

Jonas Amherd posiert auf einer Brücke, im Hintergrund ist eine Kirche zu sehen. Er trägt ein Jubla-T-Shirt.
Legende: Jonas Amherd zu Besuch in Luzern. ZVG

«Es ist natürlich sehr bedrückend», sagt Jonas zu den jüngst publik gemachten Missbrauchsfällen. Der 34-Jährige ist Fachverantwortlicher im Bereich Glauben und Kirche bei der Jungwacht Blauring Schweiz (kurz Jubla), die finanziell und ideell von der katholischen Kirche unterstützt wird, aber offen für alle Glaubensrichtungen ist. Er war nicht überrascht. Vergleichbare Studien im Ausland hätten ein ähnliches Bild gezeichnet.

So schlimm diese Missbrauchsfälle auch sind: Die guten Dinge dürfen nicht überschattet werden.
Autor: Jonas Amherd Jungwacht Blauring

Er sei froh, dass die Verantwortlichen die längst überfällige Sache angingen, um die Fälle sauber aufzuarbeiten. «Wichtig ist mir, dass die nötigen Konsequenzen gezogen werden und Anpassungen erfolgen», sagt er.

Darum hält Jonas der Kirche die Stange

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Der Grund, warum Jonas der Kirche derzeit treu bleibt, sind die christlichen Werte und Haltungen, die seine Kultur, in der er aufgewachsen ist, stark geprägt haben. Diese Werte und der Glaube seien unabhängig von Fehlern von Einzelpersonen. Er räumt ein, dass auch das System überarbeitet werden muss, aber diese christliche Kultur sei davon nicht geprägt.

Ohne die Missbrauchsfälle verharmlosen zu wollen, läuft für Jonas viel Gutes in der Kirche. Er spricht die Jubla an, die Gassenküche und die Seelsorge vielerorts, die unterstützenswert seien. «So schlimm diese Missbrauchsfälle auch sind: Die guten Dinge dürfen nicht überschattet werden.»

Mentari Baumann (30): «Wenn all jene austreten, die nicht einverstanden sind, wird sich nie etwas ändern.»

Mentari Baumann posiert für ein Foto.
Legende: Die 30-Jährige hat noch genügend Kraft, für Veränderungen in der katholischen Kirche zu kämpfen. ZVG

Auch Mentari Baumann hat mit über 1000 Missbrauchsfällen gerechnet. Trotzdem sei die Nachricht schlimm gewesen. «Ich bin traurig für all die Betroffenen und Angehörigen.» Aber es ist ihr wichtig zu betonen, dass ihr Fortbestand als Mitglied kein Zeichen dafür sei, die Missbrauchsvorfälle nicht ernst zu nehmen, so die Geschäftsführerin der Bewegung Allianz Gleichwürdig Katholisch, die sich für eine gleichberechtigte, glaubwürdige und solidarische katholische Kirche einsetzt.

Sie verstehe alle, die aus der Kirche austreten. Sie wolle auch niemandem das Gefühl geben, dass ein Austritt falsch ist, aber: «Wenn all jene austreten, die nicht einverstanden sind und an der Kultur und Struktur noch rütteln wollen, dann wird sich nie etwas verändern.» Sie habe noch die Kraft, sich für Veränderungen einzusetzen. Deshalb bleibe sie Mitglied.

Das sind die Konsequenzen bei einem Kirchenaustritt

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Tritt man aus der römisch-katholischen Kirche aus, muss man keine Kirchensteuern mehr bezahlen. Ein Austritt heisst aber nicht automatisch, dass man in der Kirche nicht mehr heiraten darf oder das eigene Kind nicht mehr getauft wird. Weil das Kirchenrecht viel Interpretationsspielraum offenlasse, träfen die jeweiligen Seelsorgerinnen und Seelsorger eine Abwägung, erklärt Urs Brosi, Generalsekretär der römisch-katholischen Zentralkonferenz der Schweiz RKZ. Als Glaubensgemeinschaft ist die Verbundenheit mit dem christlichen Glauben entscheidend, aber man wolle verhindern, dass «Trittbrettfahrer» – ohne Kirchensteuern zu bezahlen – quasi gratis kirchliche Dienstleistungen in Anspruch nähmen. Grundsätzlich aber gilt bei einem Austritt Folgendes:

  • Kein Stimm- und Wahlrecht in der Kirchgemeinde und Landeskirche.
  • Trauung: Sofern noch eine Person des Paares Mitglied ist, steht einer kirchlichen Trauungszeremonie mit Pfarrer nichts im Weg. Sind beide ausgetreten, ist es grundsätzlich nicht erlaubt – Ausnahmen vorbehalten.
  • Bestattung: Jede verstorbene Person hat in der Schweiz unabhängig von ihrem Glauben das Recht, bestattet zu werden. Auch die Möglichkeit zur Aufbahrung sollte laut Brosi eigentlich überall gegeben sein. Das sind Aufgaben der politischen Gemeinde. Dagegen liegt die Bestattungszeremonie in der Verantwortung der Angehörigen. Wird die Kirche für eine kirchliche Begräbnisfeier angefragt, so gilt: Ist eine verstorbene Person vorher ausgetreten und die nächsten Angehörigen ebenfalls, kann die Kirche eine kirchliche Begräbnisfeier untersagen. Sind die nächsten Angehörigen Mitglieder, kann ein kirchliches Begräbnis durchgeführt werden, sofern dies nicht dem Willen der verstorbenen Person widerspricht.
  • Taufe: Sind beide Elternteile konfessionslos, ist eine Taufe ihres Kindes nur möglich, sofern beide dies ausdrücklich wünschen und eine dem Kind nahestehende Person (zum Beispiel Grosseltern, Paten) zusagen, für die religiöse Erziehung Verantwortung zu übernehmen.
  • Normalerweise ist kirchliche Seelsorge ebenfalls an eine Mitgliedschaft gebunden. Die Kirchgemeinde kann Ausnahmen vorsehen. Zudem ist die kirchliche Seelsorge beispielsweise im Spital, Militärdienst oder im Gefängnis auf Wunsch immer gegeben, unabhängig von Religion oder Mitgliedschaft.
  • Darf ein Kind in den römisch-katholischen Religionsunterricht, wenn beide Eltern ausgetreten sind, das Kind aber getauft ist? Ja, sagt Brosi. Sofern der Wunsch der Eltern da ist. Weil allerdings der Unterricht sehr teuer ist, werden die Eltern gefragt, ob sie sich finanziell daran beteiligen würden. Die Teilnahme am Unterricht soll aber nicht von der Finanzierungsbereitschaft der Eltern abhängen. Zu erwähnen ist, dass das obligatorische Schulfach «Ethik, Religionen, Gemeinschaft» nichts damit zu tun hat. Und die katholische Kirche bietet nicht in allen Kantonen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen an.

Max Ammann (29): «Nicht nur eine ‹Missbrauchskirche›, die ich schnellstmöglich verlassen muss.»

Max Ammann posiert vor einem Panorama für ein Foto.
Legende: Max Ammann sagt, es schade bestimmt nicht, über die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche nachzudenken. Seine Antwort sei aber klar. ZVG

«Ein Skandal» findet Max Ammann die vorgefallenen Missbräuche in der katholischen Kirche – besonders die Vertuschungsversuche. Die Studie halte fest, was man aufgrund der Erfahrungen aus dem Ausland habe erwarten müssen, sagt der 29-Jährige.

Der Hauptgrund für den Juristen und angehenden Theologen, weshalb er der Kirche nicht den Rücken kehrt, ist, dass er in der katholischen Kirche den Nährboden für seinen Glauben gefunden hat.

Selbst wenn ich auf der anderen Seite der Welt bin, finde ich immer irgendwo ein Stück Heimat.
Autor: Max Ammann Jurist und angehender Theologe

Ausserdem biete die katholische Kirche eine weltumspannende Gemeinschaft von Gläubigen, so Max. Er war gerade in den Ferien in Ecuador, wo er katholischen Pfarreien begegnete: «Selbst wenn ich auf der anderen Seite der Welt bin, finde ich immer irgendwo ein Stück Heimat», sagt er.

Weltjugendtag 2016 Polen.
Legende: Am Weltjugendtag treffen sich jeweils viele junge Leute, um ihren Glauben zusammen mit dem Papst zu feiern. Hier 2016 in Polen. KEYSTONE/EPA PAP/PAWEL SUPERNAK

Und schliesslich tue die katholische Kirche viel Gutes, was man bei der berechtigten Kritik an der Institution nicht aus den Augen verlieren dürfe. Es sei eben nicht nur eine «Missbrauchskirche», die er schnellstmöglich verlassen müsse.

Video
Archiv: Männerkirche, Macht und Missbrauch
Aus Club vom 19.09.2023.
Bild: Imago/imagebroker abspielen. Laufzeit 1 Minute 19 Sekunden.

Radio SRF 1, HeuteMorgen, 12.09.2023, 6:00 Uhr

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