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Genf Verbotene Antennen auf russischem Diplomatiegebäude

Ohne kantonale Genehmigung haben russische Agenten neue Parabolantennen auf den Diplomatiegebäuden angebracht. Genf sei eine Drehscheibe für russische Geheimdienstoperationen, wie eine Recherche von RTS enthüllt.

Nahe des Palace des Nations in Genf befindet sich die ständige Vertretung Russlands bei den Vereinten Nationen. Diese diplomatischen Gebäude stehen unter strengem Schutz: Eine meterhohe Mauer, Überwachungskameras und bewaffnete Wachen inklusive.

Dieser Sitz hat offiziell eine diplomatische Funktion, aber Russland hat dort Spionageantennen, Abhörsysteme und Satellitenschüsseln installiert, welche von der Strasse aus kaum zu sehen sind. Das Westschweizer Fernsehen RTS hat die Anlagen mittels Satellitenbilder ausgewertet.

Die Schweiz ist ein Hotspot, ein Rückzugsort für russische Spione, die in ganz Europa aktiv sind.
Autor: Adrian Hänni Historiker & Experte für Geheimdienste an der Universität Graz

«Kein Bedarf an solchen Geräten»

Auf den dortigen Dächern befinden sich insgesamt sieben grosse Parabolantennen und mehrere Abhörgeräte, welche unter einer Art Container versteckt sind. «Das sind eindeutig Antennen, die zu Spionagezwecke eingesetzt werden. Für normale diplomatische Nachrichten besteht kein Bedarf an solchen Geräten. Sie werden eingesetzt, um elektronische Kommunikation und Satellitenkommunikation auszuspionieren», analysiert der Historiker Adrian Hänni, Experte für Geheimdienste an der Universität Graz.

Mit Archivbildern lässt sich nachweisen, dass diese Satellitenschüsseln grösstenteils neu sind. Hänni bestätigt, dass Russland seine nachrichtendienstlichen Aktivitäten in der Schweiz auszubauen scheint: «Russland ist in den vergangenen Jahren viel offensiver geworden, was die Spionage angeht.» Er sagt weiter: «Die Schweiz ist ein Hotspot, ein Rückzugsort für russische Spione, die in ganz Europa aktiv sind.»

Satellitenschüssel auf einem Dach, umgeben von Bäumen.
Legende: Eine Antenne auf dem Dach der russischen diplomatischen Vertretung in Genf. RTS

Auf Anfrage von RTS sagt das Grundbuchamt des Kantons Genf an, dass das Gelände eine diplomatische Struktur ist, welche, gemäss dem internationalen Recht, Vorrechte, Immunitäten und Erleichterungen geniesse. Jedoch sind die kantonalen Regeln für Baugenehmigungen weiterhin gültig. Jede Parabolantenne mit einem Durchmesser von mehr als 90 Zentimeter wäre bewilligungspflichtig. Die russische Vertretung habe jedoch seit 2006 nur ein Gesuch eingereicht, so der Kanton.

Satellitenbilder zeigen, dass zwischen 2006 und 2007 eine – legale – Antenne gebaut wurde. Zwischen 2006 und 2009 wurde eine weitere Parabolantenne installiert, 2012 eine weitere und bis 2024 zwei zusätzliche. Alle haben einen Durchmesser von über 90 Zentimeter. Insgesamt stehen vier Antennen ohne kantonale Bewilligung auf dem Gelände. Der Kanton gibt an, dass er auch seitens des Bundes nicht über irgendeine gewährte Ausnahme informiert worden sei. Sie seien somit höchstwahrscheinlich illegal.

Russland dementiert

Die russische Botschaft gab auf Anfrage an, dass sie «mit solchen Äusserungen entschieden nicht einverstanden ist und sie als einen weiteren Versuch betrachtet, Russland und die russische Bevölkerung willkürlich zu dämonisieren». Sie sagt weiter: «Wir bekräftigen unseren Standpunkt, dass das diplomatische Personal unserer Botschaft sich ausschliesslich auf die Aufgabe konzentriert, unter den derzeitig schwierigen Umständen eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Behörden des Gastlandes aufrechtzuerhalten.»

Der Nachrichtendienst des Bundes NDB behauptet indes das Gegenteil: In offiziellen Berichten gibt er an, dass ein Drittel der russischen Diplomaten, die im Dienst sind, in Wirklichkeit Spione seien. Dies entspräche rund 80 Personen in der Schweiz.

Schweizer Spionageabwehr «nicht untätig»

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Seit Beginn des Ukrainekriegs haben europäische Länder starke Massnahmen gegen russische Spione ergriffen. Es wurden über 600 Diplomaten wegen des Vorwurfs der Spionage ausgewiesen. Selbst das neutrale Österreich schickte mehrere Dutzend zurück.

In der Schweiz gibt es keine offiziellen Zahlen der Ausweisung von Diplomaten. «Die Europäer haben politische Massnahmen ergriffen, sichtbare Massnahmen. Beim NDB arbeiten wir mehr hinter den Kulissen», erklärt NDB-Direktor Christian Dussey jedoch bei der Vorstellung eines Lageberichtes im Oktober. «Wir sind nicht untätig. Im Gegenteil, wir haben unsere Aktionen verstärkt, die Schweiz ist aggressiver im Bereich der Spionageabwehr», präzisierte er weiter. Der NDB ist jedoch in seinen Operationen eingeschränkt und muss bei seinen Einsätzen Prioritäten setzen. Insgesamt verfügt der NDB über 420 Mitarbeiter, von denen etwa 60 für die Spionageabwehr zuständig sind. Und es sind etwa 10 bis 15 Mitarbeiter nötig, um die Bewegung eines Spions auf Schweizer Gebiet zu überwachen.

In seinem Bericht 2024 fasst der NDB die Situation wie folgt zusammen: «Die Schweiz bleibt ein bevorzugtes Terrain für Spionage und andere nachrichtendienstliche Aktivitäten. Dabei spielt eine Rolle, dass die Spionageabwehr im Vergleich zu anderen europäischen Ländern weniger gut ausgebaut ist.»

Eine Schwächesituation, die Russland zu seinem Vorteil zu nutzen weiss. Während überall in Europa die russischen Geheimdienste verfolgt und unter Druck gesetzt werden, ist die Schweiz für Kreml-Spione unentbehrlich geworden.

Mise au point, 17.11.2024, 20:10 Uhr;stal

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