Angesichts menschlicher Tragödien stehen humanitäre Helfer an vorderster Front. Fatima Sator, Sprecherin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), hat in mehreren Konfliktgebieten gearbeitet. Für sie sollte die Frage, ob alle Menschenleben gleich viel wert sind, gar nicht existieren: «Als humanitäre Helfer stellen wir uns die Frage nicht. Alle Leben sind gleich viel wert», sagt sie gegenüber dem Westschweizer Fernsehen RTS.
Sie erinnert jedoch daran, dass diese Frage schon immer existierte: «Verdienen Soldaten es, versorgt zu werden? Verdient ein Kriegsgefangener das Recht, mit seiner Familie zu sprechen?», sagt Sator. «Und genau hier kommen wir zum Kern des humanitären Völkerrechts. Für uns zählt vor allem die Menschlichkeit.»
In einer zunehmend polarisierten Welt wird es jedoch schwerer, diese Neutralität aufrechtzuerhalten. «Sobald man keine Partei ergreift und die Menschlichkeit über alles stellt, gerät man unter Beschuss», bedauert Sator. Eine umso grössere Herausforderung, da das IKRK auf die Finanzierung politischer Akteure angewiesen ist.
Das Tötungsverbot als Fundament des Lebenswerts
Aus philosophischer Sicht formuliert Frédéric Worms, Direktor der École Normale Supérieure in Paris, die Frage anders: «Der Wert eines menschlichen Lebens misst sich am Verbot, diesen zu töten. Wenn wir dieses Verbot überschreiten, sind auch unsere eigenen Leben in Gefahr.»
Das RTS-Gespräch in voller Länge mit deutschen Untertiteln
Laut Worms wird dieses Gleichgewicht durch den Krieg gestört. Denn der Krieg durchbreche die universelle Achtung vor dem Leben: «Krieg bedeutet eine Trennung zwischen Menschen, es gibt ‹uns› und ‹sie›.» Krieg sei daher die ultimative moralische Gefahr, die es um jeden Preis zu vermeiden gelte.
«Wir erleben heute eine Rückkehr dieser Gewalt, die unser Bedürfnis nach Universalität wecken sollte. Wenn wir bestimmten Kriegstoten keine Beachtung schenken, stehen wir auf der Seite des Krieges.»
Die Hierarchisierung der Berichterstattung
Bei der Berichterstattung über Konflikte müssen Medien redaktionelle Entscheidungen treffen. Angesichts zunehmender globaler Spannungen – deren Zahl sich in fünf Jahren verdoppelt hat – scheint es unmöglich, alles abzudecken.
In Redaktionen basiert die Auswahl der Themen auf mehreren Kriterien, erklärt Franck Mathevon, Direktor der internationalen Nachrichten bei Radio France. Das erste Kriterium ist die Zugänglichkeit: «Wir berichten kaum über den Krieg im Sudan, weil wir dort nur schwer Zugang haben.» Danach folge die Identifikation mit den Opfern: «Es gibt zum Beispiel eine stärkere Identifikation mit der Ukraine, wenn man Europäer ist.»
Schliesslich nennt Mathevon auch politische Gründe: «Die Priorisierung hängt auch vom Einfluss eines Konflikts auf unsere Gesellschaften ab. Das gilt offensichtlich für den israelisch-palästinensischen Konflikt, er polarisiert stark», sagt er. «Daher greifen politische Entscheidungsträger das Thema auf, und das ist der Grund, warum wir ihm mehr Raum geben.»
Da man sich den Verzerrungen jedoch bewusst ist, bemühen sich einige Redaktionen, ihre Berichterstattung zu erweitern. Bei Radio France wurde kürzlich beschlossen, Reporter nach Kongo zu entsenden, und ein Team bereitet sich darauf vor, in den Sudan zu reisen.