Es klingt wie ein Krimi: Am 26. Oktober 2003 dringen acht Personen, ausgerüstet mit Schneidbrenner, Kreis- und Kettensägen, in Arbedo im Kanton Tessin in das Polveriera-Depot ein. Sie laden Unmengen an Hanfpflanzen und -blüten auf drei Lieferwagen und fliehen. Nur wenige Stunden später werden sie in einem unterirdischen Tunnel im Verzascatal gestellt.
Es war der Höhepunkt einer langen Geschichte, die das Tessin über sieben Jahre hinweg beschäftigte. Zwischen 1996 und 2003 veränderte eine unpräzise Drogenpolitik das Bild des ganzen Kantons. Denn zu dieser Zeit war der Anbau und Verkauf von Hanf nur dann verboten, wenn er für Betäubungsmittelzwecke bestimmt war. Für andere Zwecke blieb er straffrei. Damit waren der Kreativität keine Grenzen gesetzt: Es entstanden Hanf-Duftkissen für Asthmatiker, dekorative Trockenblumen, Bademischungen und vieles mehr.
Neue Wege gesucht
1996 wurden im Tessin die ersten Hanfläden eröffnet – ähnlich wie vorher schon an anderen Orten in der Schweiz. Dem vorausgegangen war ein Umdenken in der Schweizer Drogenpolitik. Nachdem der Zürcher Platzspitz und der Letten in den 90er-Jahren als grösste offene Drogenszene Europas traurige Berühmtheit erlangt hatten, wollte man etwas ändern.
So wurde über eine Entkriminalisierung weicher Drogen nachgedacht und weniger polizeilicher Repression. Dies ebnete dem Hanfhandel den Weg. Alltagsprodukte wurden angeboten, gleichzeitig wiesen die Händler auf die Illegalität des Konsums hin. Die «Canapaio», die Hanfläden, boomten. Was man früher in einem ganzen Monat an Umsatz machte, verdiente man nun innert eines einzigen Tages.
Gutes Klima
Die Rahmenbedingungen erwiesen sich als optimal. Nicht nur eignete sich das Tessiner Klima gut, um die Pflanzen anzubauen. Auch war insbesondere die Landwirtschaft durch die damalige Wirtschaftskrise gebeutelt. Voraussetzungen, die eine Umstellung auf Hanf attraktiv machten. So wurde innerhalb kurzer Zeit auf vielen grossen landwirtschaftlichen Flächen, insbesondere in der Magadino-Ebene, auf Hanf umgestellt. Und die Zahlen sprachen für sich: Erbrachten früher tausend Quadratmeter Gemüseanbau 25'000 Franken, so liessen sich auf gleicher Fläche mit dem «grünen Gold» 150'000 Franken einnehmen.
Im Jahr 2000 hatte sich aus dem Hanfanbau im Tessin schliesslich eine ganze Industrie entwickelt. Das «grüne Gold» wurde zum Goldrausch. Wachhunde, Stacheldraht, Infrarotkameras und Security bewachten die Hanfplantagen vor möglichem Diebstahl. Das Tessin wurde zu einem der wichtigsten Lieferanten von Cannabis für Amsterdam. Selbst in der Nebensaison waren Hotels und Campingplätze durch den Hanftourismus ausverkauft. Diese Entwicklung und dass vielerorts gekifft wurde, führte teils auch zu Unmut in der Bevölkerung. Immer wieder mussten die Behörden eingreifen.
Da auch Minderjährige die Hanfläden besuchten, entschieden die Läden von sich aus, nicht an sie zu verkaufen. Diesen Schritt nutzte Staatsanwalt Antonio Perugini für seinen Kampf gegen den Hanf. Er argumentierte: Wenn Hanf nur für Duftsäckchen gebraucht wird, warum sollte der Verkauf eingeschränkt werden?
2003 konnte Perugini seine «Operation Indoor» starten: Innert sechs Monaten wurden 198'000 Hanfpflanzen, vier Tonnen Hanf und vier Millionen Franken in bar beschlagnahmt. Ein Laden nach dem anderen wurde geschlossen. Fast 130 Personen wurden inhaftiert.