800 Milliarden will die EU künftig für Aufrüstung ausgeben. In Deutschland lautet das Motto der möglichen neuen Regierung «Whatever it takes» – für Verteidigungsausgaben soll es keine Obergrenze geben. In Frankreich ist die Rede von einer massiven Erhöhung der Militärausgaben. Dies alles parallel zu Diskussionen über eine Waffenruhe in der Ukraine. Wie nah oder weit entfernt der Frieden ist – ungewiss.
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Nach nunmehr über drei Jahren Ukrainekrieg herrscht eine ungewohnte Einigkeit in Europa. Eine Einigkeit, dass man nun aufrüsten müsse. Dies vor allem, weil mit US-Präsident Trump bisher geltende Gewissheiten infrage gestellt sind. Kann man im Ernstfall noch auf die USA zählen?
Diplomatie statt Aufrüstung
Von der Friedensbewegung ist derweil oder vielleicht gerade wegen der aktuellen Entwicklungen wenig zu spüren. Welchen Platz hat also der Pazifismus im Kontext eines Krieges? Darüber hat das Westschweizer Radio und Fernsehen RTS mit Vincent von Siebenthal gesprochen.
Der Präsident der Organisation «Linke Christen in der Romandie» hinterfragt die aktuelle Aufrüstung. Statt mit Waffen könne man die eigenen Werte auch mit Diplomatie und Verhandlungen verteidigen, sagt von Siebenthal. «Man bringt alle Beteiligten an einen Tisch [...]. Und dann arbeitet man zusammen, tauscht Ressourcen oder Rohstoffe aus [...]. Das ist Frieden durch Handel.»
Er ist überzeugt, dass dies funktionieren kann und blickt dabei in der Geschichte zurück. «Ich denke, dass wir Russland aus den Handelskreisläufen und der neuen Weltordnung ausgeschlossen haben, die nach dem Fall der UdSSR eingeführt wurde.»
Frieden generell neu denken
Dabei existiere der Pazifismus, wie wir ihn kennen, so nicht mehr, sagt Bertrand Badie im RTS-Interview. Laut dem Spezialisten für internationale Beziehungen hat sich der traditionelle Pazifismus weiterentwickelt. «Heute ist Frieden viel mehr als Nicht-Krieg.»
So sagt Badie, der ein Buch über die Kunst des Friedens geschrieben hat, beispielsweise: «Wir können nicht über Frieden sprechen, ohne die Klimafrage, die Gesundheitsfrage und die Nahrungsmittelfrage zu berücksichtigen. Es ist kein Zufall, dass das Welternährungsprogramm den Friedensnobelpreis erhalten hat. Dies bedeutet, dass die Idee des Friedens die Idee der Nichtkriegsführung bei weitem überwiegt.»
Wie kann Frieden vor Ort funktionieren?
Im Kriegsgebiet selbst, ob in der Ukraine, Gaza oder anderen Kriegen, die weniger im Rampenlicht stehen, kommt früher oder später ganz konkret die Frage auf, wann die Waffen niedergelegt und Frieden erreicht werden kann. Alexander Hug hat Erfahrung in diesem Gebiet. Der Experte für friedensfördernde Massnahmen in Konflikten war jahrelang in der Ukraine aktiv.
Damit eine Waffenruhe überhaupt funktionieren könne, brauche es klare Abmachungen über deren Überwachung und Durchsetzung, sagt er gegenüber SRF. Der damalige Waffenstillstand in der Ukraine nach dem «Minsker Abkommen» sei immer wieder gebrochen worden, weil «keine klaren Sanktionsmechanismen festgesetzt» worden seien, sagt Hug, der den Waffenstillstand mitüberwacht hat.
Aktuell sei es schwierig, einen politischen Willen aufseiten Russlands für einen Waffenstillstand auszumachen. «Eine Waffenruhe würde ich aber nicht ausschliessen.»