Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat zur Folge, dass die globalen Rüstungsausgaben so hoch sind wie noch nie seit dem Kalten Krieg. Auch den Bundesrat beschäftigt die Sicherheitslage in Europa. So sollen wieder Kampfjets auf Schweizer Autobahnen starten. Das allgemeine Aufrüsten erinnert an den Kalten Krieg. Swisspeace-Direktor Laurent Goetschel versteht das Aufrüsten, sieht aber auch einen begrenzten Nutzen.
SRF News: Erinnert das allgemeine Aufrüsten an den Kalten Krieg?
Laurent Goetschel: Durchaus. Der Kalte Krieg war durch ein gegenseitiges Wettrüsten, Hochrüsten des Ostblocks und des Westblocks gekennzeichnet. Da flossen unglaubliche Mengen an finanziellen Ressourcen in die jeweiligen Rüstungsvorhaben.
Die Welt ist eine andere als zu Zeiten des Kalten Krieges. Wo sehen Sie Unterschiede?
Der wichtigste Unterschied ist sicher, dass wir keine bipolare Weltordnung mehr haben – zwei Grossmächte, die sich gegenüberstehen. Sondern wir haben eine grössere Anzahl von grossen Mächten: Russland, die USA, auch China. Dazu Indien, Brasilien, Südafrika und weitere aufstrebende Mächte, die ihre Stellung in der globalen Ordnung suchen.
Ist das jetzt gut für den Frieden, wenn die Welt mehrere Pole hat?
Es ist gut und schlecht. Es ist insofern gut, als die Gefahr geringer ist, dass sich zwei gegenseitig in immer höhere Sphären hochschaukeln in Bezug auf Rüstung und gegenseitige Bedrohungen. Es gibt mehrere Akteure und unterschiedliche Perspektiven. Das ist zugleich auch die Kehrseite. Denn es gibt verschiedene Interessen und Strategien. Das macht die Lösungssuche nicht einfacher.
Ist es sinnvoll, dass gewisse Länder ihre Verteidigung ausbauen wollen?
Russland greift als Nuklearmacht seit dem Ende des Kalten Krieges erstmals ein Land auf dem europäischen Kontinent an. Ich begreife, dass diese Tatsache Sorgen bereitet und als Bedrohung wahrgenommen wird. Die Länder überlegen sich, ob sie für eine weitere Ausweitung des Krieges gerüstet wären.
Die technologischen und materiellen Ressourcen der Nato übersteigen die Ressourcen Russlands schon heute bei weitem.
Auf der anderen Seite erachte ich es als nicht sehr wahrscheinlich, dass es weitere Schritte Russlands nach Westen geben wird und es zu einem Angriff auf die Nato kommt. Die technologischen und materiellen Ressourcen der Nato übersteigen die Ressourcen Russlands schon heute bei weitem.
Was hat die Welt ganz konkret aus dem Kalten Krieg gelernt?
Man hat Erfahrungen gemacht. Was man daraus gelernt hat, wäre jetzt zu diskutieren. Aber man hat gesehen, dass das gegenseitige Hochrüsten ohne Perspektive nicht zu einem automatischen friedlichen Ausgang führt. Im Kalten Krieg ist die eine Seite letzten Endes quasi implodiert, konnte wirtschaftlich nicht mehr mithalten. Es hätte aber auch sehr gut anders kommen können. Vor diesem Hintergrund sollten die Akteure bestrebt sein, nicht nur weiterzumachen, bis die eine Seite aufgibt. Sondern gemeinsam nach einer Lösung zu suchen, bevor es zu weiteren Eskalationen oder zur Erschöpfung der einen Seite kommt.
Ich habe den Eindruck, dass immer, wenn es Krieg gibt, das Interesse auch an Frieden steigt.
Was stimmt Sie persönlich optimistisch?
Auch wenn das jetzt etwas paradox klingen mag: Ich habe den Eindruck, dass immer, wenn es Krieg gibt, das Interesse auch an Frieden steigt. Ich stelle ein starkes Interesse verschiedenster Akteure fest, gerade weil es Krieg gibt, nach den Bedingungen zu fragen, wie man denn wieder auch mehr für den Frieden machen könnte.
Das Gespräch führte Reena Thelly.